Ein Leben ohne Digitalisierung ist für uns kaum vorstellbar. Wie aber steht es um Ämter und Behörden? Halten sie Schritt mit der digitalen Transformation der Metropolen? E-Government-Experte Franz-Reinhard Habbel ist skeptisch – und vorsichtig optimistisch.
Herr Habbel, seit Langem beschäftigen Sie sich mit dem Thema E-Government. Auf Laien wirkt der Begriff sperrig. Um was geht es dabei?
Vereinfacht gesagt, meint E-Government die Digitalisierung der Verwaltungs-prozesse und der Kommunikation zwischen Bürgern, Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung. Darüber hinaus werden Antworten auf die Frage gesucht, wie sich neue digitale Technologien einsetzen lassen, um das schnelle, komplexe Leben in Kommunen und die Mitsprache von Bürgern besser zu organisieren. Das betrifft alle Lebensbereiche von Politik und Wirtschaft über Mobilität und Bildung bis hin zu Gesundheit und Kultur.
Franz-Reinhard Habbel ist E-Government-Experte und war bis Ende 2017 Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds.
Laut dem jährlich erscheinenden Report „E-Government-Monitor“ stagniert die Nutzung von E-Government in Deutschland. Zum Beispiel gebe es zu wenig digitale Verwaltungsangebote, die Nutzungsbarrieren seien zu hoch. Wie bewerten Sie das?
Die Situation ist in der Tat nicht akzeptabel. Eine schlanke, gute Verwaltung ist ein wichtiger Standortfaktor für Bürger und Unternehmen. Da sind uns andere Länder zum Teil weit voraus. In Österreich gibt es zum Beispiel die antragslose Verwaltung. Wenn Sie dort ein Kind bekommen, müssen Sie nicht extra einen Antrag stellen, um Kindergeld zu erhalten. In Estland werden wichtige Daten nur einmal erfasst, stehen aber verschiedenen Behörden zur Verfügung. Sobald sie darauf zugreifen, wird der Bürger umgehend informiert. Transparenz und Sicherheit bleiben gewahrt.
Warum gibt es so etwas hier nicht öfter, woran hapert es?
Die bestehenden Systeme von Bund, Ländern und Gemeinden sind zu wenig vernetzt, Prozesse nicht aufeinander abgestimmt oder gar noch nicht online möglich. Das im vergangenen Jahr beschlossene Online-Zugangsgesetz soll hier Abhilfe schaffen. Bis Ende 2022 sollen 500 Dienstleistungen im Rahmen eines Portalverbunds online gestellt werden. Außerdem benötigen wir Experten in den Behörden, die Neuerungen im Bereich der IT praktisch umsetzen können. Oft mangelt es aber auch schlichtweg an der grundsätzlichen Einstellung gegenüber der Digitalisierung. Es wird zu wenig in Projekten und vom Nutzer her gedacht. Die Frage, wie Dienste und Abläufe so digitalisiert werden können, dass sie den Bürgern und Unternehmen insgesamt optimal dienen, wird zu zaghaft gestellt – und noch seltener gut beantwortet.
Was genau meinen Sie damit?
Zum Beispiel das Thema Mobilität. Nicht nur große Kommunen wie Berlin oder Paris kämpfen mit verstopften Straßen, hohen Abgasemissionen und frustrierten Pendlern. Auch mittelgroße Städte leiden darunter. Die Vernetzung von privatem und öffentlichem Nahverkehr mittels Digitalisierung ist ein Schlüsselthema, um die Mobilität effizienter, umweltfreundlicher und angenehmer zu gestalten. Das geht aber nur in Netzwerken und Allianzen, indem Dienste auf Plattformen miteinander verknüpft werden. Politik und Verwaltung müssen sich einer ganzheitlichen Vorgehensweise stellen und stär- ker auf Bürger und private Anbieter, etwa aus den Bereichen Car und Bike Sharing, zugehen. Die Zukunft liegt in der Vernetzung. Hier verschenken wir Potenziale, Wildwuchs entsteht und die Herausforderungen werden nicht gelöst.
Was Sie Wildwuchs nennen, bezeichnen andere als Vielfalt. Was ist verkehrt daran?
Im Grunde nichts, aber je isolierter die Angebote sind, umso weniger effizient sind sie. Wenn Bürger darüber hinaus ihre Verwaltung als wenig kommunikativ, wenig dynamisch oder altbacken erleben, bekommt sie ein Akzeptanzproblem. Die Bürger sagen dann irgendwann: „Verwaltung? Die ist langsam und hilft uns nicht. Brauchen wir nicht, machen wir lieber selbst.“ Damit beginnt das Vertrauen in die politische Systemwelt zu schwinden. Ein solcher „Strömungsabriss“ darf aber nicht passieren.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen uns offensiv und intensiv mit den neuen Entwicklungen auseinandersetzen. Dazu gehört ein transparenter, diskursiver Umgang mit dem Thema Daten. Die Vernetzung und die Dynamik von Geodaten zum Beispiel spielen eine entscheidende Rolle im kommunalen Leben. Mit ihnen lassen sich wertvolle Rückschlüsse ziehen und etwa visualisieren, wo es Defizite im Verkehr oder bei der Gestaltung öffentlicher Räume gibt. Öffentliche Räume werden mit privaten Daten überlagert und gleichzeitig werden Daten der öffentlichen Hand von Privatanbietern genutzt. Ist das akzeptabel? Und wenn ja, unter welchen Bedin- gungen? Wem gehören die Daten? Wer darf sie wie nutzen? All das muss transparent diskutiert und geklärt werden. Das sind wichtige Fragen, die umfassend und schnell beantwortet werden müssen. Daten sind das Öl im 21. Jahrhundert.
Aber wie?
Mein Leitbild ist das eines offenen Gemeinwesens, in dem die Potenziale der Menschen gefördert und genutzt werden. Dazu muss man sie einbinden und teilhaben lassen. Wir benötigen mehr physische und digitale Begegnungsräume für Debatten und Dialoge etwa in Form regelmäßiger öffentlicher Veranstaltungen und digitaler Portale. Ich plädiere dafür, dass Kommunen ein Dezernat für Kommunikation ins Leben rufen, um genau diese Dinge zu organisieren und ein kommunikatives Ambiente anzubieten. Parallel dazu brauchen wir Datenanalysten in der Verwaltung, die wir auch gut bezahlen müssen. Sonst kriegen wir sie nicht.
Jetzt klingen Sie ja fast optimistisch.
Das bin ich auch! Die Digitalisierung ist zwar ein dickes Brett, aber ich treffe jeden Tag Bürger, Unternehmer, Politiker und Verwaltungsfachleute, die tolle Ideen und Energie zur Veränderung haben, die die Chancen nutzen wollen. Viele Kommunen und Bürgermeister haben sich bereits auf den Weg gemacht, die Digitalisierung zu nutzen. Sie entwickeln entsprechende Strategien. Das ist ermutigend. Wir müssen raus aus unseren Silos und eigenen Blasen und uns stärker vernetzen. Und wir sollten dabei keine Angst vor Veränderungen haben. Denn Veränderung ist Normalität. Die digitale Transformation beginnt im Kopf.
Das Interview führte Peter Gaide.
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