Mittlerweile wird der Begriff „Smart City“ häufig genutzt, aber was bezeichnet er genau? Und warum wird er als Schlüssel für die Zukunft der Stadtplanung gefeiert?
Taisha Fabricus, Esri R&D Center Zürich
Nach wie vor wächst die Weltbevölkerung jährlich um rund ein Prozent. Deshalb ist es entscheidend, dass Städte und ihre zugehörigen Ökosysteme sich den daraus resultierenden Herausforderungen stellen. Diese betreffen unter anderem Lebensgrundlagen wie ausreichend erschwinglicher Wohnraum und Infrastrukturen für den Transport von Menschen und Gütern, Energieversorgung, Gesundheit, Lebensqualität und wirtschaftliches Wachstum.
Hinzu kommen Herausforderungen, die wir als globale Gemeinschaft bewältigen müssen, wie die COVID-19-Pandemie oder die Auswirkungen des Klimawandels in Form von Dürre, Erdbeben oder steigendem Meeresspiegel.
Die heutige Gesellschaft ist so komplex und so viele Faktoren spielen in ihr zusammen, dass wir neue Werkzeuge für die städtische Planung brauchen. Mit einem Digitalen Zwilling können wir Szenarien für neu geplante Areale sogar komplett mit Verkehrssimulation entwerfen. Wie werden zum Beispiel autonome Fahrzeuge wahrgenommen und wie funktionieren sie?
Auch ist es so ein Leichtes, Sonnenlicht- und Schattenuntersuchungen anzustellen sowie Lärm- bzw. Geräusch- und Luftqualitätsanalysen durchzuführen. Außerdem müssen wir uns den Herausforderungen von heftigem Niederschlag für Regen- und Abwassertrennsysteme zuwenden.
Eric JeanssonStratege für Geodaten, Stadtplanungsamt von Göteborg
Für welchen Umgang mit diesen Herausforderungen entscheiden wir uns?
Eine mögliche Antwort ist die Erstellung eines Digitalen Zwillings einer Stadt und ihrer Umgebung, um damit historische und Echtzeit-Daten zu analysieren und Simulationen von Zukunftsszenarien durchzuführen.
Dafür hat sich die Stadt Göteborg entschieden, als sie sich das Ziel setzte, eine digitale Version der Stadt bis 2021 zu entwickeln. Dabei muss nicht geknausert werden: In Westschweden werden insgesamt 10 Mio. Euro in Technologien für Digitale Zwillinge investiert. Die Summe setzt sich zusammen aus Beiträgen aus dem privaten, wirtschaftlichen und akademischen Sektor.
Warum ein Digitaler Zwilling?
Es ist wichtig für das richtige Verständnis von Digitalen Zwillingen, die Vorstellung abzulegen, es handle sich dabei nur um eine visuelle Kopie der physischen Objekte, wie es bei einem 3D-Stadtmodell als Szenen-Layer der Fall wäre.
Ein nützlicher Digitaler Zwilling bezieht und repräsentiert alle Informationen, die mit diesen Objekten verbunden sind.
Das ermöglicht den vielfältigen Einsatz von Digitalen Zwillingen:
- Historische Daten können verwendet werden, um eine Stadt darzustellen, zu analysieren und ihre Abläufe zu verstehen. Ein Beispiel dafür sind die Living Atlas Indicators, die über ArcGIS Urban bereitgestellt werden.
- Echtzeit-Daten finden Anwendung bei der Regulierung und Steuerung einer Stadt, beispielsweise des Verkehrs. Der Datenschatz insgesamt ist riesig: Er umfasst Informationen aus Smartphones, der Industrie 4.0, Cloud-Services oder dem Internet der Dinge (IoT) mit seinen Sensoren.
- Daten aus Simulationen und Szenarien werden für Zukunftsvorhersagen eingesetzt und können viele Was-wäre-wenn-Fragen beantworten. So ist ein Digitaler Zwilling hilfreich, wenn es beispielsweise darum geht, die Auswirkungen von Schatten zu untersuchen, autonome Fahrzeuge zu trainieren oder Überschwemmungsszenarien zu simulieren.
Was ist die technische Grundlage?
Die Erstellung eines Digitalen Zwillings wurde an der Universität Chalmers auf Basis der Unreal Engine von Epic Games erforscht. Als ideale Grundlage dafür bot sich die Stadt Göteborg an. Zunächst einmal müssen für dieses Projekt Daten gesammelt werden. Sie sind überall in der Stadt verteilt zu finden und entstammen unterschiedlichsten Quellen. Eine Einrichtung hat die Straßendaten, die nächste Organisation hält die Daten der Verkehrssignale vor und andere Informationen müssen erst noch generiert werden.
So existierte beispielsweise keine Datenbank über die für Dächer verwendeten Baustoffe. Dieses Dataset für das Virtual-Gothenburg-Projekt wurde mit Hilfe von orthografischen Bilddaten und Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt. Die KI „schaute“ sich alle Dächer der Stadt an und berechnete, welche Materialien für die virtuelle Repräsentation passen würden.
Der nächste Schritt: Die gewonnenen Daten müssen in eine steuerbare Datenbank einfließen. Dieses Dataset wird dann in CityEngine eingespeist, um die Stadt prozedural zu generieren. Die CityEngine-Modellgenerierung kann über Parameter und Attribute gesteuert werden. Dazu gehören beispielsweise die Anzahl von Stockwerken, Fenstersorten oder Baujahr. Sobald ein Dataset über entsprechende Parameter verfügt, kann es in CityEngine modelliert werden.
Nachdem diese Modelle generiert sind, werden sie in die Unreal Engine (UE4) von Epic Games importiert. UE4 bietet Möglichkeiten zum Hinzufügen von Kollisionsobjekten, verschiedenen Detaillierungsebenen (LODs, levels of detail) und weiteren Elementen – allesamt notwendig für das Zusammenfügen aller Objekte, damit die virtuelle Version einer Stadt in Echtzeit erstellt werden kann. Danach kann sie als Anwendung ausgeführt und auch um neue Datentypen erweitert werden.
Eine große Sache stemmen
Der Digitale Zwilling der Stadt Göteborg umspannt ein Gebiet von stolzen 700 km². Um diese Fläche handhabbar zu machen, teilt Virtual Gothenburg die Karte (mit World Composition von Unreal Engine) in ein Gitternetz ein, sodass zahlreiche 1 km x 1 km große Kacheln entstehen.
Info
Göteborg ist Schwedens zweitgrößte Stadt. Sie nutzt Werkzeuge wie CityEngine, FME (Feature Manipulation Engine) und Unreal Engine für die Erstellung eines täuschend echten Digitalen Zwillings unter dem Projektnamen Virtual Gothenburg.
Weil sich die Farben segmentieren lassen, kann die Textur tausende Datenpunkte enthalten. So könnte in einem Segment beispielsweise definiert werden, dass ein bestimmter Grünton für ein Gebiet steht, in dem Blaubeeren besonders gut angebaut werden können, während ein helleres Grün eine Fläche anzeigt, in der Pilze gedeihen. Dazu nötig sind echte Daten: eine Datenbank mit Informationen zu Blaubeeren und Pilzen im Gebiet Göteborg, die als Attribute für die verschiedenen Grüntöne innerhalb dieser Textur dienen, damit die virtuelle Umgebung richtig ausgestattet ist.