Gemeinsam mit dem Modellprojekt Smart City „Connected Urban Twins“ aus der bundesdeutschen Förderkulisse “Smart Cities made in Germany” ist Joachim Schonowski Mitinitiator der Norm DIN SPEC 91607 „Digitale Zwillinge für Städte und Kommunen“. Seitens des Konsortiums wurde er als Konsortialleiter der Entwicklung dieser DIN-Spezifikation gewählt. Hauptberuflich arbeitet er bei der msg systems AG. Dort ist er tätig als Principal Business Consultant Smart Sustainable Cities.
Er blickt auf eine lange Erfahrung in verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen, der Forschung und Entwicklung und Umsetzung in Laboren und Projekten im Bereich Smart City zurück. Als Vorsitzender des DIN Smart City Standards Forums spricht er im Interview mit WhereNext über Standardisierung, Nachhaltigkeit und den Tücken des Smart-City-Begriffs.
„Der kommunale digitale Zwilling wird als zentrales Element der Smart-City-Entwicklung betrachtet.“
Joachim Schonowski
Principal Business Consultant Smart Sustainable Cities bei msg systems AG
Herr Schonowski, können Sie unseren Lesern kurz erzählen, wo Sie herkommen und woran Sie gerade arbeiten?
Ich beschäftige mich seit 2012 mit dem Thema ‚Smart City‘, damals noch bei den T-Labs in der Forschung und Entwicklung. Wer sich mit dem Thema genauer beschäftigt, dem fällt schnell auf, dass der Begriff “intelligente Kommune” (engl. Smart City) mehr als nur die Technik umfasst. Die damit engstens verbundene digitale Transformation hat noch viel weitreichendere Folgen in nahezu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen und das in unterschiedlichsten Ausprägungen in der Stadt und auf dem Land. Wichtig ist dabei nicht die Zielrichtung aus den Augen zu verlieren. Digitalisierung soll die Lebensqualität der Menschen verbessern, muss aber auch die Nachhaltigkeit im Auge behalten. Für mich persönlich wende ich dabei eine 3-I-Strategie an:
- Innovation: Durch das Mitwirken in verschiedenen Gremien und die Erarbeitung von Inhalten wie Standards versuche ich am Puls der Zeit zu sein.
- Integration: Erste Implementierungen und Prototypen z.B. in kommunalen Real-Laboren helfen ein technisches Verständnis zu entwickeln.
- Implementierung: In Projekten erhalte ich den Praxisbezug, um die beiden ersten “I’s” anzuwenden.
Warum sind Standards aus Ihrer Sicht wichtig?
Standards schaffen eine gemeinsame technische Basis, bieten klare Richtlinien für Dienstleistungen und Prozesse, unterstützen ökonomische Entscheidungen und ökologische Anstrengungen. Standards unterstützen die Interoperabilität und Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen und Anwendungen und ermöglichen einen besseren Austausch von Informationen und Daten.
Im Kontext von ökologischer Nachhaltigkeit sind Standards ein besonders wichtiger Baustein, da sie dazu beitragen, Ressourcen und Energie effizienter zu nutzen und Umweltbelastungen zu minimieren.
Darüber hinaus haben Standards auch im politischen Kontext eine bedeutende Rolle. Sie können dazu beitragen, dass gesetzliche Anforderungen und Regelungen einheitlich umgesetzt werden und eine hohe Qualität sowie Sicherheit gewährleistet wird.
Ich sehe Standards als Grundlage für Nachhaltigkeit in vier Dimensionen:
- Ökologisch, z.B. Ressourcensparsamkeit
- Sozial, z.B. Herstellerunabhängigkeit
- Ökonomisch, z.B. Investitionsschutz
- Technisch, z.B. Interoperabilität
Können Sie ein Beispiel für Standards im Kontext von Smart Cities nennen?
Ja, das beste Beispiel sind die oft angesprochenen Urbanen Plattformen für Smart Cities. Hier wird oft von einem „System von Systemen” gesprochen, dies würde ich erweitern auf ein “System von Systemen” und “System von Normen und Standards”. An diesem Thema arbeite ich seit ca. 2016.
Mit meinem damaligen Team habe ich ein Smart City Labor aufgebaut, welches als Kernelement einen Prototypen einer IoT-Plattform gemäß der DIN SPEC 91357 auf Basis des globalen IoT-Standards oneM2M beinhaltete. In dem EU-Leuchtturmprojekt mySMARTLife haben wir unseren Prototypen dann mit der Open Urban Platform der Stadt Hamburg verknüpft, die Standards der OGC Standardisierung nutzt.
Die strategische Idee dahinter ist, eine solche IoT Plattform nicht nur für Smart City, sondern auch in anderen Themenfeldern einzusetzen und damit quasi einen “doppelten Plattformcharakter” zu erreichen.
Wie gelingt das?
Es ist wichtig, bei neuen digitalen Themen Urban Data Plattformen frühzeitig eine Weichenstellungen auf Ebene der Standards zu legen. Ein aktuelles Beispiel für die Relevanz von Standards ist die aktuelle Entwicklung des Abbilds der kommunalen Realität in Form eines digitalen Zwillings. Der kommunale digitale Zwilling wird derzeit als zentrales Element der Smart-City-Entwicklung betrachtet, ähnlich wie die intelligente Straßenlaterne oder das intelligente Parken im Jahr 2014. Idealerweise soll der kommunale digitale Zwilling u.a. eine effizientere Planung, Steuerung oder Optimierung verschiedener Prozesse und Infrastrukturen wie Verkehr, Energie, Wasser oder Abfall, aber auch eine Vielzahl anderer Anwendungsfälle ermöglichen oder einfacher darstellen.
Im Rahmen der Modellprojekte “Smart Cities made in Germany” sollen die Kommunen einen digitalen Zwilling zum Einsatz bringen. Leider ist für viele Kommunen unklar, was genau eigentlich ein digitaler Zwilling ist, wie er sich von der ebenfalls geforderten urbanen Plattform unterscheidet bzw. mit dieser zusammenspielt oder ob die bestehende Geodateninfrastruktur der Kommunen oder auch deren Visualisierung nicht ausreicht oder wie eine nachhaltige Finanzierung aussehen soll. Denn zentrales Element eines kommunalen digitalen Zwillings, der ein virtuelles Abbild der Kommune sein soll, ist die integrierte Kombination von räumlichen und zeitlichen (Echtzeit-) Daten, deren Analyse und Modellierung und schließlich die anwendungsfallbezogene Darstellung.
Hier stellen sich aber bereits zahlreiche Fragen, wie:
- Welche Anwendungsfälle habe ich?
- Welche digitale Infrastruktur benötigt die Kommune?
- Auf welche Analysemethoden kommt es an?
- Oder was genau ist ein urbaner digitaler Zwilling?
Da der kommunale digitale Zwilling ein komplexes System darstellt, ist es umso wichtiger, frühzeitig Standards zu etablieren, um Klarheit und Leitfäden zu geben und zu vermeiden, dass jede Kommune in Ermangelung eines nationalen Standards irgendetwas implementiert, was nach dem Ende der Förderung dann nicht mehr genutzt wird.
Das DIN Smart City Standards Forum bietet mit den DIN SPEC Serien 913×7 und 916×7 nationale Standards, die die Kommunen unterstützen sollen und gleichzeitig auch international genutzt werden. Diese sind kostenlos verfügbar. Dennoch werden Standards im Kontext der intelligenten Kommunen oft vernachlässigt und auch politisch nicht ausreichend gefördert.
Wie dürfen sich unsere Leser die DIN für digitale Zwillinge für Städte und Kommunen vorstellen? Warum ist sie so wichtig?
Die DIN SPEC 91607 für digitale Zwillinge für Städte und Kommunen ist in erster Linie ein technischer Standard. Das aus 31 Organisationen bestehende Konsortium aus Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden erarbeitet einen Handlungsleitfaden für die Entwicklung und Umsetzung von digitalen Zwillingen in Städten und Kommunen.
Der nationale Standard stellt in erster Linie sicher, dass Begriffe und Themen definiert, zu- bzw. eingeordnet und deren Anwendung dargestellt wird. Herzstück sind dabei kommunale Anwendungsfälle, die einen echten Nutzen und Mehrwert bieten und die in einer klar definierten Struktur beschrieben werden. Anhand eines Reifegradmodells sollen Kommunen bewerten können, welche technischen Elemente sie für sich benötigen. Dazu gehört auch eine Definition des Begriffs nebst einer Einordnung zu verwandten Themen wie BIM oder aber neuen Begriffen wie CIM (City Information Modelling) oder Citiverse als Abspaltung von Metaverse.
Neben dieser technischen Sicht wollen wir aber auch die soziale und ökologische Dimension mit Hilfe von Designprinzipien betrachten. Hier spielen z.B. die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG’s) aber auch die aktuelle Debatte um Analysemethoden und Ethik eine Rolle. Ein weiteres wichtiges Element sind auch die Steuerung und damit Nutzung des digitalen Zwillings und entsprechende Betriebs- und Geschäftsmodelle. Der nationale Standard soll somit ein möglichst umfassender Leitfaden sein. Hervorzuheben ist, daß bei dieser DIN SPEC auch 13 Kommunen mitwirken.
Welche Herausforderungen im Bereich von Smart City und der Standardisierung gibt es generell?
Aktuell gibt es viele verschiedene Gremien und Veranstaltungen, die sich in Ihren jeweiligen Mitgliederkreisen damit beschäftigen. Oft werden jedoch die gleichen Fragestellungen behandelt. Leider führt dies zu Doppelarbeit und bindet unnötig Wissen und Experten. Andererseits gibt es auch eine fehlende Koordination der Themen und Gremien, was die Zusammenarbeit erschwert.
Eine weitere Herausforderung ist die Standardisierung, da es oft an der notwendigen Bereitschaft fehlt, sich an diesem gesellschaftlichen und geostrategischen Thema zu beteiligen und es angemessen zu unterstützen. Im Kontext der intelligenten Kommune stehen die Kommunen vor mehreren Herausforderungen; u.a.:
- Digitale Fachkräfte: Nur große Kommunen haben entsprechendes Personal oder können auf wissenschaftliche Institutionen zurückgreifen.
- Übergreifende, digitale Fachkompetenz: Diese kann über entsprechende Weiterbildungen erlangt werden.
Oder schlicht fehlende Finanzmittel, sodass nur wenige Kommunen auch Mitarbeiter für die Arbeit an einem nationalen Standard bereitstellen können.
Wie können Kommunen die Herausforderungen auf dem Weg zur Smart City lösen?
Um die Herausforderungen auf dem Weg zur intelligenten Kommune zu lösen, sollten Kommunen verschiedene Maßnahmen ergreifen. Einerseits sollten gerade kleinere Kommunen ihre Ressourcen bündeln und Kompetenzzentren schaffen, um Expertenwissen und Finanzmittel gemeinsam zu nutzen. Dies fördert gleichzeitig auch den Austausch.
Andererseits sollte die Politik die Standardisierung fördern, um die digitale Transformation zur intelligenten Kommune -nachhaltig zu gestalten und dem Ziel “Smart Cities made in Germany” gerecht zu werden. Wir haben über 11.000 Kommunen in Deutschland, aber nur eine Handvoll Millionenstädte.
Es geht also gerade bei uns und in Europa darum, wie wir die Vielzahl kleinerer Kommunen erreichen und mitnehmen können. Aktuell sehe ich eher, dass wir Chancen vergeben, uns in strategisch relevanten Themen einzubringen und mitzugestalten.
Wie weit sind wir in Sachen Smart City Standards im internationalen Kontext?
In der EU gibt es verschiedene Ansätze, wie die EU-Strategie zur Standardisierung (2022), in der auch das Thema Smart City genannt wird. U.a. ist das BSI (Britische Standards Institution) hinsichtlich Smart City Standards sehr aktiv. National gibt es das neue deutsche Strategieforum für Standardisierung. Es ist abzuwarten, ob und welche Art von Impulsen kommen. Bislang ist bei diesem gesellschaftlich und ökologisch wichtigen Thema national bislang kaum Unterstützung angekommen.
Im Vergleich dazu dominieren asiatische Vertretungen die internationalen Standardisierungsgremien und überschwemmen uns mit Smart City Normen. Es ist also noch ein langer Weg, um eine umfassende internationale Zusammenarbeit im Bereich Smart City und Standardisierung zu erreichen, die auf abgestimmten nationalen Sichten und idealerweise Standards fußt.
Sie betonen immer wieder die Aspekte der Nachhaltigkeit und Datenhoheit. Auf was kommt es hier für Städte und Kommunen an?
Für Städte und Kommunen kommt es bei den Aspekten der Nachhaltigkeit und Datenhoheit vor allem darauf an, die Zielrichtung im Auge zu behalten und sicherzustellen, dass die Technologie dem Menschen dient und nicht umgekehrt. Ein weiterer Aspekt ist die Anpassung globaler und nationaler Ziele wie den Nachhaltigkeitszielen der UN und deren Übersetzung auf die lokale Ebene, um daraus, z.B. mittels digitaler Systeme lokal die Zielerreichung abzuleiten.
Es ist wichtig, neue Themen vom Ergebnis her zu denken und dabei auch die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Digitalisierung und die möglichen Umkehreffekte zu berücksichtigen. Aus ökologischer Sicht sollte z.B. der Energieverbrauch und die Ressourcennutzung digitaler Systeme in der Herstellung und Nutzung im Hinblick auf die Nachhaltigkeit bzw. Ihre Wirksamkeit mitbetrachtet bzw. bilanziert werden.
Zudem sollten Städte und Kommunen darauf achten, dass die Daten, die ihnen gehören, nicht in die falschen Hände geraten. Die Wahrung der Datenhoheit und der sorgsame Umgang sind zentral. Eine intelligente Kommune lebt von der Akzeptanz ihrer Einwohner und ist mehr als nur Technik. Anwendungsfälle sollten auch soziale Aspekte berücksichtigt und auf einer transparenten Daten-Politik basieren, um eine nachhaltige und lebenswerte Stadt für alle zu schaffen.
Gibt es bereits existierende Beispiele für nachhaltige Kommunen?
Es gibt viele Beispiele, in denen sich Kommunen mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen oder dieses auch erfolgreich anwenden. Zum Beispiel hat die Stadt Geestland zweimal den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen, die Stadt Ludwigsburg hat eine Dienstanweisung für eine nachhaltige Beschaffung nach Cradle 2 Cradle-Prinzipien herausgegeben, in Berlin gibt es einen Verein für eine zirkuläre Kommune und Freiburg im Breisgau ist als “Green City” international bekannt.
Vielen Dank für das Interview.