Wenn es um lebenswerte Städte geht, ist die Stadt Zürich in internationalen Rankings immer unter den Topplätzen. Aber was macht die Stadt anders? Und wie lässt sich das Wohlbefinden in Städten steigern? Darüber sprechen wir im Interview mit drei Expertinnen.
“Zürich ist eine lebenswerte Stadt“ – Wie seht ihr das? Fühlt es sich „gesund“ an, in Zürich zu leben?
Alice: Zürich ist auf jeden Fall eine sehr lebenswerte Stadt mit großartigen landschaftlichen Qualitäten, vielen Freizeitmöglichkeiten und einer modernen Verkehrsanbindung. Dazu kommen eine hohe Wohn- und Freiraumqualität, Sicherheit sowie eine gute Gesundheitsversorgung und Bildung. Aber es gibt auch Verbesserungspotenzial, insbesondere bei der Fahrradinfrastruktur. Die Straßen sind stark von Autos dominiert.
Alice Hollenstein
Urban Psychologin, CUREM – Center for Urban & Real Estate Management, Universität Zürich
Amewu: Ich sehe das ähnlich. Doch es gibt noch Luft nach oben. Wegen der hohen Dichte an Emissionsquellen und betroffenen Personen, steht die Stadt vor besonderen Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, hat zum Beispiel der Lärmschutz des Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ) eine über die Grenzen der Schweiz hinaus wegweisende Lärmschutzstragegie entwickelt und bei der Luftqualität werden periodisch stadtspezifische Maßnahmenpläne erarbeitet.
Den Erfolg sieht man zum Beispiel in der Entwicklung der Stickoxid- oder Feinstaubkonzentrationen, die seit Jahren kontinuierlich sinken. Wir bewegen uns auf eine flächendeckende Unterschreitung der Grenzwerte hin, wissen aber auch, dass mit den WHO-Empfehlungen aus 2021 schon die nächsten Herausforderungen vor der Tür stehen.
Was sind weitere Aspekte, die sich aus eurer Sicht noch verbessern lassen?
Amewu: Aus meiner Sicht sind zwei Aspekte relevant: einer grundsätzlich und der andere aktuell. Der erste betrifft die Tatsache, dass die Gesetzgebung nicht mit den relativ schnellen technischen und wissenschaftlichen Fortschritten mithalten kann.
Amewu A. Mensah
Stadt Zürich Umwelt- & Gesundheitsschutz
Heutzutage sind zum Beispiel die Rußpartikel in Autoabgasen aufgrund der Direkteinspritzung wesentlich kleiner als früher, als hinter Dieselfahrzeugen noch schwarze Rußwolken sichtbar waren. Im urbanen Raum machen 100 nm-Partikel 60 – 90 % der Partikelanzahl aus. Wenn man jedoch bedenkt, dass man 100.000 100nm-Partikel braucht, um das Gewicht eines 10µm-Partikels zu erreichen, wird klar, dass man mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Wiegen des Feinstaubs (PM = particulate mass) an die Grenzen der Repräsentativität stößt.
Gleichzeitig zeigen aktuelle epidemiologische Studien, dass Luftschadstoffe auch unterhalb der aktuellen Grenzwerte signifikante Gesundheitsauswirkungen haben. Unter Berücksichtigung solcher und noch wesentlich mehr Erkenntnisse hat die WHO ihre neuen Empfehlungen entwickelt. Die darin enthaltenen Richtwerte sind deutlich geringer als die aktuellen Schweizer Grenzwerte, zum Beispiel 10µg/m³ statt 30µg/m³ für NO2. Zudem empfiehlt die WHO die Einführung eines flächendeckenden Monitorings der Partikelanzahl statt des Gewichts.
Der zweite und damit aktuelle Aspekt betrifft die Klimawirksamkeit von Luftschadstoffen, womit sich das sechste Kapitel des IPCC-Berichts beschäftigt. Das Eintreten der Wirkung von emissionsmindernden Maßnahmen hängt letztlich von der Lebensdauer des jeweiligen Schadstoffes ab. Wir nähern uns mit großer Geschwindigkeit dem 1,5 °C-Ziel.
Entsprechend bedarf es neben der Dekarbonisierung auch der Reduktion von Klimaschadstoffen, die eine kürzere Lebensdauer haben. Hier spielen Luftschadstoffe wie Stickoxide, Ozon oder Ruß eine große Rolle. Darauf hat auch der IPCC bei der Veröffentlichung des Synthesis Reports im März erneut hingewiesen. Aufgrund dieser synergetischen Effekte ist Luftreinhaltung letztlich nicht nur Gesundheitsschutz, sondern auch ein sehr wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.
Alice: Wie Amewu sagt, gibt es noch viel Potenzial für eine gesündere und sicherere Mobilität. Dadurch würde die Stadt auch leiser, sauberer und kinderfreundlicher werden. Ein großes Potenzial sehe ich auch in der effizienteren Nutzung von Flächen. Wenn wir im Verlauf eines ganzen Tages schauen, könnten noch mehr Nutzungsüberlagerungen stattfinden wie Co-Working in Restaurants oder höhere Ausnützung in Büros.
GIS spielt in der Stadtplanung seit je her eine zentrale Rolle. Wie können Städte von der Nutzung geografischer Informationssysteme profitieren?
Lisa: Meiner Meinung nach gibt es drei große Potenziale von GIS für die Stadtplanung: (1) Zugang und Erstellung von räumlichen Daten, (2) eine gemeinsame Plattform über Web GIS (oder auch digitaler Zwilling) und (3) räumliche Analysen.
Lisa Stähli
Senior Product Engineer bei Esri Inc.
Eine zentrale Verwaltung und Erhaltung von räumlichen Daten in relationalen Datenbanksystemen, die meist von einer GIS-Abteilung übernommen wird, ist die Basis für einen iterativen Design- und Planungsprozess. Stadtentwickler:innen sollten sich nicht mit Datenkonvertierung herumschlagen müssen, sondern in einem System effizient arbeiten können. Ein System, in dem alle Daten aktuell und zuverlässig gehalten werden. Gerade im Bereich von 3D-Daten wird das in den nächsten Jahren eine zusehends zentrale Rolle spielen.
Darüber hinaus können Geografische Informationssysteme für Planer:innen auch verwendet werden, um räumliche Daten einfach und intuitiv zu erstellen. Für kollaborative Workflows, bei denen viele Interessengruppen beteiligt sind, zum Beispiel in der strategischen Stadtplanung, sind physische Pläne oder Dokumente, die nicht einfach geteilt und archiviert werden können – wie beispielsweise PDFs oder PowerPoint-Präsentationen – als Medium für die Zusammenarbeit in der frühen Planungsphase nur bedingt geeignet. Mit Web-GIS-Lösungen kann man für die Stadtplanung eine gemeinsame Plattform bereitstellen, auf der sich einfach Skizzen von Szenarien erstellen, teilen, präsentieren und kommentieren lassen – und das alles räumlich verortet.
Die Datenanalyse ist dann der nächste logische Schritt. So können Anwender:innen nicht nur visualisieren, wie sich Städte weiter verändern, sondern auch die entsprechenden Berechnungen direkt im Web-GIS aufgrund eines Szenarios erstellen. Also beispielsweise räumliche Analysen wie Erreichbarkeit, Sichtbarkeitsachsen und Schattenwurf, bis hin zu Kapazitätsanalysen wie Geschossflächen und Energieverbrauch aufgrund der Geometrien.
Alice: Ich sehe auch ein spannendes Potenzial bei sogenannten City-Dashboards, wie zum Beispiel Vancouver eines hat. Damit können Personen aus der Bevölkerung, Verwaltung und Politik in Echtzeit sehen, wie sich bestimmte Indikatoren (z.B. der Wohnflächenkonsum, die Luftqualität usw.) entwickeln, wo Handlungsbedarf besteht und wo man schon viel Positives erreicht hat. Dies wirkt auch motivierend.
Was kann GIS künftig dazu beitragen, Städte lebenswerter zu gestalten?
Lisa: Als Kommunikationsmittel werden digitale 2D- sowie 3D-Pläne, die im GIS erstellt und geteilt werden können, an Bedeutung gewinnen. Gerade die 3D-Visualisierung von Entwicklungen wird in den nächsten Jahren noch zentraler werden. Mit direkten Integrationen von GIS-Systemen und sogenannten Game Engines, also 3D-Rendering-Programmen, können realistische Visionen von Szenarien einfach und schnell erstellt und geteilt werden. Dadurch wird die Mitwirkung und der Einbezug von Interessengruppen und der Bevölkerung vereinfacht, und das Verständnis über die zukünftigen Entwicklungen erhöht. Die Stadtplanung kann so sicherstellen, dass die Stadt im Sinne der Bevölkerung weiterentwickelt wird.
Die Analyse- und in Zukunft Simulationswerkzeuge tragen darüber hinaus dazu bei, dass bauliche Entwicklungen bereits vor der Umsetzung durchgehend geprüft werden können. Wind-, Schatten- und Lärmsimulationen können helfen, verdeckte Probleme von Bebauungen aufzuzeigen, anstatt dass man diese teuer nach der Fertigstellung nachbessern muss. So können auch wertvolle Ressourcen eingespart werden.
Habt ihr abschließend noch Tipps für städtische Entscheidungsträger:innen parat?
Amewu: Ich finde es wichtig, gemeinsam mit der Bevölkerung eine Vision zu entwickeln, wohin man als Stadt in 20 bis 30 Jahren gehen möchte. Und dann über die Departemente hinweg gezielt darauf hinarbeiten.
Lisa: Die Zukunft der Stadtentwicklung ist dreidimensional und fokussiert auf die Fußgängerperspektive. Städte müssen funktional, nachhaltig und flexibel geplant werden. 3D-GIS hilft dabei, Perspektiven aufzuzeigen und im iterativen, faktenbasierten Prozess optimale Lösungen für die Stadtentwicklung zu finden.