Neue Technologien verbessern nicht per se die Welt – auch wenn das der ein oder andere aus dem Silikon Valley gerne behauptet. Neben vermeintlich „leistungsfähigen“ Technologien braucht es weitaus mehr – insbesondere dann, wenn sie auch dem Globalen Süden nützen sollen.
Technik allein bringt noch keinen Fortschritt. Das weiß keine besser als Tech Entrepreneur Sonja Betschart. Sie setzt sich für die Demokratisierung von Hightech-Lösungen ein, zählt zu den 100 einflussreichsten Schweizer ‚Digital Shapers‘, ist Mitbegründerin von WeRobotics und steht auf der Plenary-Bühne der Esri Konferenz 2020.
Sonja, du bezeichnest dich als ‚Tech for Good Entrepreneur‘ – kannst du unseren Lesern kurz beschreiben, was das genau bedeutet?
Für mich vereint der Begriff drei Dinge: Menschen, Technologien und Unternehmergeist. Es geht darum, den Fokus von der Technologie auf die echte Mehrwertgenerierung zu verlagern. In anderen Worten: Es geht darum, neue Lösungen für soziale Herausforderungen zu finden und diese Lösungen nachhaltig vor Ort zu etablieren. Dort, wo sie gebraucht werden; also gerade in Ländern des Globalen Südens müssen die notwendigen Bedingungen dafür geschaffen werden.
Was ist in deinen Augen für eine verantwortungsvolle Nutzung von Technologien wichtig?
Zwei Dinge: Ein gleichwertiger Zugang und eine sinnvolle Anwendung von Technologie.
Beim Zugang zu Technologien ist es wichtig, dass Lösungen der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dazu gehört nicht nur der Zugang zur Technologie selbst, sondern auch das Wissen, wie man sie am besten einsetzen kann. Beides sollte idealerweise allen bereitstehen. Leider ist das bisher nicht immer der Fall. Für einige Länder und Kontinente ist der Zugang zu den geeignetsten Technologien und Infrastrukturen noch immer ein Privileg.
Eine sinnvolle Anwendung von Technologien bedeutet in erster Linie einen Mehrwert für den Endverbraucher zu schaffen. Hier sollten auch ethische Aspekte eine Rolle spielen. Ein Beispiel ist unser Drone Code of Conduct for Social Good oder die Initiative Principles of Digital Development.
Was muss sich ändern, damit der Zugang zu Technologie kein Privileg mehr ist?
Technologie muss demokratisiert werden. Neben dem Zugang sind Faktoren wie Design, Chancentransfer und Bildung dafür essentiell.
Kannst du das genauer erklären? Ist die meiste Technologie ‚ethnozentristisch‘?
Beim Design geht es um die Entwicklung von umfassenderen Technologielösungen: Die Anforderungen sind von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich. Es gibt eben individuelle Herausforderungen wie Bandbreite, Netzanbindung, verfügbare Hardware und deren Reparaturmöglichkeiten. Drohnen, Software, Plattformen – alle Technologien, die wir heute einsetzen, werden ausschließlich im Globalen Norden entwickelt – und sind demzufolge weitgehend auf dessen Bedürfnisse, Strukturen und Infrastrukturen ausgerichtet.
Darüber hinaus gehen Zugang zu Technologien und Bildung Hand in Hand. Denn: Wer keinen Zugang hat, kann auch nicht geschult werden. Häufig richten Technologieunternehmen ihre Trainingsprogramme auf die Hauptabsatzmärkte aus. Kleinere, fragmentierte Märkte – dazu gehören oft die Märkte des Globalen Südens – finden hingegen weniger Beachtung. Für die Demokratisierung von Technologie sind jedoch lokale Schulungen das A und O. Die bereits erwähnten Anforderungen müssen auch hier mitbedacht werden; beispielsweise das Thema Bandbreite bei Online-Trainings und Webinaren.
“Technologie muss demokratisiert werden”
Sonja Betschart, Mitbegründerin von WeRobotics
Als dritten Aspekt geht es darum, lokale Experten zu befähigen. Sie brauchen Zugang zu Technologie und Wissen und auch die Möglichkeit, dass sie die Arbeit in ihrem Umfeld selbst verantworten. Das schafft lokalen Mehrwert auf mehreren Ebenen. Wir beobachten bei WeRobotics, dass immer noch viele Aktivitäten und Projekte von ausländischen Experten geleitet werden, denen es oft an kulturellen Erfahrungsreichtum in den Bereichen mangelt, in denen sie Technologien einsetzen. Das schadet manchmal mehr, als es nützt – insbesondere bei der Arbeit mit Drohnen und KI. Übrigens: Das Befähigen lokaler Experten ermöglicht nicht nur effizientere und angepasste Lösungen, sondern schafft auch neue Arbeitsplätze vor Ort. Kein Wunder, dass wir im Globalen Norden auch auf Wissen setzen. Unser Ziel ist es, die gleiche Logik auf den Globalen Süden anzuwenden.
Was können Unternehmen zur Tech-Demokratisierung beitragen – im Sinne der nächsten Generationen?
Neben den gerade erwähnten Aspekten können Unternehmen und Organisationen folgende Tipps beachten:
- Stichwort ‚Wertorientierte Denkweise‘ – der Fokus sollte weniger auf Technologie als vielmehr auf dem Mehrwert einer Lösung liegen. Hier hilft es zu Fragen: Welchen Wert kann die Technologie schaffen und vor allem für wen?
- ‚Ökosystem-Ansatz‘ und ‚Open Sharing-Mentalität‘: Wir müssen nicht immer alles alleine machen und sollten uns für mehr Zusammenarbeit und Austausch öffnen. Das nutzt allen.
- Keep it simple: Eine einfache Sprache und klare Beispiele tragen dazu bei, dass Wissen und Lernen für ein breites Publikum zugänglich sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Wert der Vereinfachung nicht überschätzt werden kann und es viel anspruchsvoller ist, einfache Ergebnisse zu erzielen als komplexe Lösungen zu schaffen.
An was arbeitest du gerade? Verrätst du unseren Lesern etwas über deine aktuellen Projekte?
Wir sind gerade dabei, die Final-Pitch-Veranstaltung unseres Lösungs-Wettbewerbs Unusual Solutions, die in Nairobi stattfinden wird, zu organisieren. Der Wettbewerb befasst sich mit einigen Herausforderungen, die ich bereits erwähnt habe; unter anderem mit Lösungen für die letzte Datenmeile, angepasste KI-Tools sowie der Berücksichtigung ethischer Aspekte.
Vor Nairobi geht es nach Panama, wo wir unser nächstes “Drones as a Service” Business Incubation Program starten werden. Das Programm ermöglicht jungen (und manchmal auch nicht so jungen) Ingenieuren zu helfen, betriebswirtschaftliches und unternehmerisches Fachwissen zu erwerben, um so das eigene Service-Unternehmen gründen zu können. Mit diesem Programm hatte ich zuvor in Nepal und Tansania jede Menge Freude.
Last but not least bereite ich gerade auch noch eines unserer Hauptthemen für das kommende Jahr vor. Im Fokus steht die Frage: Wie können wir (Drohnen-)Daten in „Action“ umwandeln und lokale Märkte nachhaltig stärken? Während der Schwerpunkt unserer noch sehr jungen Organisation WeRobotics in den ersten zwei Jahren hauptsächlich auf Drohnen lag, und in diesem Jahr vor allem auf Daten und KI, wird ein großer Teil unseres kleinen, aber versierten Teams nun mit aller Leidenschaft der Frage nachgehen, wie aus Daten und Insights nachhaltige Mehrwerte in der Praxis entstehen.
In welchen Ländern seid ihr aktiv?
Das Netzwerk der Flying Labs umfasst heute 26 Flying Labs, die sich von Papua-Neuguinea bis Chile und von Nepal bis Sambia erstrecken. Etwa jeden Monat kommt ein weiteres Land hinzu. Afrika hat die höchste Anzahl an Flying Labs, gefolgt von Lateinamerika sowie Asien und dem Pazifikraum.
Du bist Plenary Speakerin auf der Esri Konferenz 2020: Warum sollte man deine Keynote keinesfalls verpassen?
Ich bringe Sonnenschein mit! Während Bonn Anfang März grau und noch winterlich kalt sein kann, wird meine Keynote voller Farben und tropischer Hitze sein – mit reichlich innovativen Beispielen für eine nachhaltige Technologienutzung im Gepäck.
In meiner Keynote greife ich das Konferenzmotto “See what others can’t” auf – aus einer etwas anderen Perspektive. Denn: Was passiert, wenn wir einen Schritt zurückzutreten und uns fragen, was es für bestimmte Gesellschaften bedeutet, in einer Welt zu leben, in der die tägliche Tagline lautet: “See what we can’t, and have never seen before”?
Erfahren Sie auf der Esri Konferenz 2020 alles zu intelligenten Technologien mit Raumbezug. Jetzt mehr erfahren und anmelden.