Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist ein zweischneidiges Schwert. Doch es gibt viele Potentiale, da ist sich Andreas Dörr sicher. Im Interview verrät der innovative Inhaber von Doerr Agrar, warum die Betriebe hierzulande zu den digitalen Vorreitern weltweit zählen, wie 3D-Modelle die Effizienz steigern und mit welchen Tools er seinen Betrieb koordiniert.
Die Landwirtschaft wird immer digitaler. Welche aktuellen Entwicklungen beobachten Sie?
Andreas Dörr: Genau wie in anderen Bereichen hat sich die Pandemie auf die Arbeitsweise in der Landwirtschaft ausgewirkt. So gehören virtuelle Konferenzen heute zum Alltag jedes Betriebs. Das hat insgesamt dem Thema Digitalisierung einen echten Schub verliehen – nicht nur in großen Betrieben.
Darüber hinaus spielen die Verwendung von hochgenauen Positionssignalen und der damit verbundene Einsatz von Lenksystemen eine wichtige Rolle. Der kostenlose Zugriff auf das Sapos RTK-Korrektursignal ist hier sicher einer der wichtigsten Treiber. Wohin die Reise geht, zeigen die Zahlen: Über Dreiviertel der neuen Schlepper hierzulande haben bereits ein genaues RTK-Lenksystem verbaut. Alle Landwirte, die so ein System mal benutzt haben, wollen nicht mehr weg.
Auch die Politik übt indirekt Druck auf die Digitalisierung aus. Beispielsweise in Form der Aufzeichnungspflicht und Kartographie von Flächen. Zwar geht das auch analog, aber technische Lösungen helfen der Landwirtin und dem Landwirt das Ganze leichter – und vor allem zeitsparender – zu erledigen.
Andreas Dörr,
Inhaber von Doerr Agrar
Sie experimentieren bereits mit dem Digital Twin. Können Sie unseren Leser:innen kurz erzählen, was das ist?
Den Digitalen Zwilling finde ich sehr spannend. In der Landwirtschaft werden GIS-Systeme (Ackerschlagkarteien) ja jeden Tag genutzt; bisher waren diese allerdings nur zweidimensional. Ein Digitaler Zwilling ist im Grunde ein 3D-Datensatz mit sehr viel mehr Daten, der Landwirt:innen differenziertere Antworten ermöglicht.
Und welche Potentiale ergeben sich daraus? Haben Sie ein Beispiel?
Ich komme aus der Röhn, wo es recht hügelig ist. Wir Landwirte müssen dort auf Themen wie Erosion, Wasserverläufe und effizientes Ausrichten von Fahrspuren aufpassen. Sie können sich vorstellen: Ein Modell in 3D bietet hier vollkommen neue Möglichkeiten, denn man kann sich Flächen plötzlich plastisch vorstellen.
Besonders spannend wird das, wenn ich mir Verteilungskarten mit den Erträgen, die der Mähdrescher ermittelt, ansehe. Hier lassen sich mit 3D-Visualisierungen deutlich mehr Fragen beantworten. Konkret: Zusammenhänge werden auf Anhieb ersichtlich. So sind beispielsweise die Erträge in einer wasserreichen Senke höher als auf einer Kuppe.
Aber auch vollkommen neue Szenarien sind denkbar: Landwirte, die Eier verkaufen, können auf den Kartons QR-Codes drucken. Über diesen gelangen die Verbraucher dann direkt zum digitalen Zwilling ihres Hofes. Sie können anschließend im Internetbrowser über die Heimat der Hühner „fliegen“ und den Hof erleben. Das wäre ein Weg, ‚Regionalität‘ besser an die Verbraucher zu bringen und mehr Transparenz zu schaffen.
Sie setzen Esri Technologie für aktuelle Projekte ein. Was machen Sie genau?
Ein wichtiger Anwendungsfall ist die Grünlandmahd. Die Sache ist komplex – und von vielen Variablen abhängig. So achte ich sehr auf Arten- und Umweltschutz und habe dafür Verträge mit der Naturschutzbehörde abgeschlossen. Darin steht genau, wann ich welche Wiese mähen darf. Zudem muss ich Schonflächen stehen lassen. Es liegen also eine Menge an Informationen zu den Wiesen vor.
Das richtige Management ist hier entscheidend: Welche Reihenfolge mähe ich? Wo musss ich was liegen lassen? Welcher Fahrer mäht, schwadert oder fährt die Fuhre in welcher Reihenfolge weg? All diese Zusammenhänge bilden wir mit ArcGIS Field Maps ab. Sie können sich vorstellen: Im Alltag stellt das eine erhebliche Erleichterung dar.
Das sind viele Abhängigkeiten…
Gerade vor dem Interview habe ich mich mit unserem Jäger getroffen. Dieser sucht mit seiner neuen Drohne nach Rehkitzen. Natürlich muss ich mein Mahd-Management auch mit dem Jäger abstimmen. Da mir die Informationen digital vorliegen, konnte ich ihm diese vorab schicken.
Darüber hinaus arbeite ich mit zwei weiteren Landwirten, der Uni Gießen und einer Doktorandin an einem spannenden Projekt, mit dem wir auf Basis von ArcGIS Pro, ArcGIS Online und ArcGIS Field Maps Düngekarten erstellen, die Überblick über unsere Versuchsparzellen schaffen. Das Schöne: Alle am Projekt Mitwirkenden haben auf diese Echtzeitzugriff, auch wenn wir nicht alle im gleichen Bundesland arbeiten.
Wie sieht die Zukunft der Landwirtschaft aus; Stichwort ‚Digitalisierung‘?
Wir befinden uns in Deutschland in Sachen Digitalisierung auf einem sehr hohen Niveau. Viele Denken nur an Lenksysteme und an große Fahrzeuge in Australien; aber der Großteil dort ist noch nicht so weit wie wir. Wir vernetzen und innovieren, wie die Beispiele der Rehkitzrettung oder Grundlandmahd zeigen.
Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten. Mit Themen wie Feldrobotik, Precision Farming oder Teilflächenbewirtschaftung werden sich in naher Zukunft zusehends Landwirte beschäftigen.
Wo es Potentiale gibt, lauern auch Herausforderungen…
Die Digitalisierung ist ein zweischneidiges Schwert: Ich sehe eine große Gefahr, dass weniger digital-affine Landwirte von der Digitalisierung abgehängt werden. Der Druck ist bereits hoch. Stichworte sind Tierhaltung, Fachkräftemangel, Preisexplosion. Die Digitalisierung wird hier ein weiterer Tropfen Öl im Feuer sein. Der Fortbildung der Landwirte im IT-Bereich kommt somit eine Schlüsselrolle zu.
Luft gibt es aber auch in Sachen Integrierbarkeit und Intuitivität von Lösungen. Nicht jede Landwirt:in hat eine eigene IT-Abteilung und das notwendige IT-Knowhow. Das heißt: IT-Lösungen für Landwirte müssen so einfach wie ein iPad zu bedienen sein.
Darüber drückt bei der Kompatibilität von Systemen der Schuh. Hier sind andere Branchen weiter. In der Landwirtschaft kämpfen wir mit vielen Inselsystemen. Mehr Durchgängigkeit zwischen den Herstellern ist wünschenswert. Das heißt: Wir brauchen einfache, kompatible und durchgängige Systeme und Datenbanken.
Wollen Sie unseren Leser:innen sonst noch etwas mitteilen?
Bisher waren die Entscheidungen meines Vaters immer besser, als die der verschiedenen digitalen Tools. Ich verstehe digitale und smarte Lösungen daher als wichtige Helfer im Alltag, die jedoch bis auf absehbare Zeit nicht das Gespür und die Erfahrung unserer Landwirte ablösen werden. Zugleich werden sie uns aber bei der Erreichung wichtiger Ziele, wie der nachhaltigen Produktion, regionale Versorgung oder im Umgang mit der Klimakrise, helfen.