Von Richard Cooke und Alexander Martonik
Durch den Klimawandel bedingte Veränderungen sind allgegenwärtig: Die daraus entstehende Dringlichkeit einer Green Economy bringt Entscheidungstragende in der Finanzwelt dazu, bei Investitionen und Partnern Berechnungen einer neuen Kategorie anzustellen.
Kurzer Überblick zum Thema des Artikels: Weltweit werden Unternehmen durch einen neuen Ansatz, bekannt als Spatial Finance, auf den Prüfstand gestellt. Dabei nutzen Banken, Versicherungsunternehmen und andere Finanzakteure GIS‑Technologie und räumliche Daten, um den Einfluss eines Unternehmens auf seine Umgebung zu bewerten.
Den Ertrag aus der Abholzung eines Waldstücks zu schätzen, dürfte gängige Praxis sein – aber welchen Wert hat es, es nicht abzuholzen und stattdessen Emissionsgutschriften zu generieren und sie auf dem Kohlenstoffmarkt zu verkaufen? Eine Zuckerrohrfabrik in der Nähe der Regenwälder Costa Ricas mag niedrige Produktionskosten bieten, aber die Vorstandsmitglieder fragen sich vielleicht, ob es die durch die Umweltauswirkungen hervorgerufenen Reputationsrisiken wert ist. Ein Investmentteam, das ein Bergbauprojekt in Australien in Betracht zieht, stellt sich eventuell die Frage, wie stark die Vermögenswerte der Gefahr von Waldbränden ausgesetzt sind.
Für diejenigen, die in der globalen Wirtschaft die finanzielle Kontrolle haben, wird die Fähigkeit, die Auswirkungen der Wirtschaft auf die Natur und der Natur auf die Wirtschaft zu quantifizieren und zu analysieren, zu einem wesentlichen Wettbewerbsvorteil.
Um der Nachfrage nach solchen Erkenntnissen zu begegnen, ist (eine spezialisierte Form der) Spatial Finance entstanden – ein von der Sustainable Finance Group der Universität Oxford geprägter Begriff.
Spatial Finance: Bewertung von Risiken und Chancen für die Nachhaltigkeit – von der Erde und aus dem Weltraum
Diese neue Praxis der Spatial Finance nutzt eine Reihe innovativer Technologien, darunter ein geographisches Informationssystem (GIS), Fernerkundung und künstliche Intelligenz (KI), um Erkenntnisse über Risiken und Chancen in Bezug auf Nachhaltigkeit an Orten auf der ganzen Welt zu gewinnen.
Durch die nahezu in Echtzeit verfügbaren Fernerkundungsdaten und Informationen, die von Satelliten, Drohnen oder IoT-Sensoren generiert werden, ist Spatial Finance für Banker interessant geworden, die sich mit Hochfrequenzdaten gut auskennen. Algorithmen des maschinellen Lernens verarbeiten schnell Bild- und Sensordaten von Wäldern, Küstengebieten oder Anbauflächen und erkennen Anomalien oder Muster auf globaler Ebene.
GIS ermöglicht es Kreditgebern und Beratungsunternehmen, diese Ergebnisse durch einen geographischen Ansatz auf einer Karte darzustellen und zu analysieren und dabei Unternehmensinfrastrukturen, Lieferketten und Versicherungspolicen einzubeziehen. Aus dieser ganzheitlichen operativen Betrachtung ergibt sich eine leistungsstarke Form der Location Intelligence – eine, die es Führungskräften ermöglicht, Orte zu prognostizieren, an denen geschäftliche Prioritäten und Nachhaltigkeitsaspekte kollidieren oder sich erfolgreich vereinen lassen könnten. Sie können daraufhin Strategien entsprechend anpassen.
David Patterson, Leiter der Conservation Intelligence der nationalen Sektion des World Wide Fund for Nature (WWF) im Vereinigten Königreich hat allein in den letzten sechs Monaten ein deutlich gestiegenes Interesse an Spatial Finance festgestellt, ebenso an einer damit verbundenen Praxis, die als räumliches ESG (Environmental, Social, and Governance) bezeichnet wird. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Thema mehr und mehr Verbreitung findet“, sagte er gegenüber WhereNext.
„Wenn die Maßnahmen eines Unternehmens im Hinblick auf Nachhaltigkeit – oder das Fehlen solcher Maßnahmen – den Zugang zu Finanzmitteln, die Kapitalkosten oder die Versicherungsfähigkeit beeinträchtigen, wird Nachhaltigkeit schnell zu einem Thema auf der Führungsebene.“
Die geographische Position als Bindeglied zwischen Natur und Finanzen
Spatial Finance basiert auf der Idee, dass die geographische Position, die natürliche Umwelt und die wirtschaftlichen Ergebnisse miteinander verknüpft sind. Diejenigen, die Muster und Trends in diesen Beziehungen erkennen und in ihre Entscheidungen einbeziehen können, ob sie ein Start-up unterstützen oder eine Versicherungspolice abschließen, können Verluste minimieren und Erträge sichern.
Kein Geringerer als Adam Smith, der Gründervater des Kapitalismus, attestierte der geographischen Position die Macht, das finanzielle Schicksal zu beeinflussen. In seinem bahnbrechenden Werk „Der Wohlstand der Nationen“ (The Wealth of Nations) beschreibt Smith, wie Länder mit Zugang zum Meer, der den Handel erleichterte, den im Landesinneren gelegenen Ländern überlegen waren. Im 21. Jahrhundert kommt es nicht nur darauf an, wie nah ein Unternehmen an den Ressourcen liegt, sondern auch darauf, wie es mit diesen Ressourcen umgeht. Spatial Finance erschwert es den Unternehmen, schädliche Aktivitäten zu verbergen.
Dieser Ansatz kann von Investoren und Versicherungsunternehmen genutzt werden, um potenzielle Partner oder Kunden zu analysieren.
Er kann Unternehmen auch dabei helfen, ihre eigenen Aktivitäten in der ganzen Welt zu analysieren und Risikobereiche zu erkennen.
Viele Unternehmen greifen zum ersten Mal auf Spatial Finance zurück, weil sie Hilfe bei einem dringenden Thema benötigen: der Identifizierung von Klimarisiken, idealerweise bevor die schlimmsten Szenarien eintreten. Der Ausbruch von Waldbränden in Australien, die schätzungsweise einen wirtschaftlichen Schaden von mehr als 4,4 Milliarden Dollar verursacht haben, war für die Schweizer Privatbank Lombard Odier ein Wendepunkt. Um besser einschätzen zu können, wie derartige Naturkatastrophen die Vermögenswerte und die Infrastruktur eines Unternehmens bedrohen, nahm die Bank räumliches Consulting in Anspruch.
Durch die Verflechtung von Satellitenbildern mit Daten zu Temperaturen, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit in den betroffenen australischen Regionen stellte das Team von Lombard Odier fest, dass die Waldbrände mit den Mitteln von Spatial Finance hätten vorhergesagt werden können. Laut Bloomberg fließt die räumliche Analyse nun in die Investitionsentscheidungen von Lombard Odier ein.
Die Bedeutung von Eigenkontrolle
Führungskräfte in Unternehmen stellen allmählich fest, dass ihre Geschäftstätigkeiten und -partner in einer Weise überwacht werden, die früher unmöglich war.
„Es herrscht ein viel höheres Maß an Kontrolle, vor allem in Anbetracht der zunehmenden Verfügbarkeit von Satellitenbildern und anderen Fernerkundungsdaten“, so Richard Hall von Buckhead Resources. „Das kann in gewisser Weise zu einem erhöhten Risiko führen, aber es bietet auch bedeutende Chancen zur Zusammenarbeit und zur Verbesserung von Abläufen.“
So können Aufsichtsbehörden beispielsweise mithilfe von satellitengestützten Sensoren feststellen, wie viel Methan von einer Emissionsquelle abgegeben wird und zu welchem Unternehmen diese Quelle gehört. Andere Fernerkundungsdaten geben Aufschluss über die Abholzung von Wäldern und die Verursacher.
Mit anderen Worten: Transparenz ist nicht länger nur eine Option. „Mit der Fernerkundung sind verschiedene Interessengruppen in der Lage, auf Situationen hinzuweisen, die möglicherweise Maßnahmen rechtfertigen und die zuvor vielleicht unbemerkt blieben und nicht thematisiert wurden“, sagt Hall. Klug agierende Führungskräfte werden Fernerkundungsdaten und GIS-Analysen nutzen, um ihre eigenen Tätigkeiten zu überwachen und schlechte Praktiken zu unterbinden, bevor es die Aufsichtsbehörden tun.]
Investmentbanken, Datenanbieter wie S&P Global und LSEG sowie externe Berater und Aufsichtsbehörden wie der WWF wenden mehr Ressourcen für Spatial Finance auf und das nehmen Führungskräfte zur Kenntnis. Unternehmen, die GIS‑Software einsetzen, können Tausende von Daten‑Layern auswerten, die täglich oder wöchentlich aktualisiert werden und zum Beispiel Werte zu Hitzeindex, Wasserqualität und Abholzung enthalten. Bereits eine ganz einfache räumliche Funktionalität kann der Geschäftsleitung dabei helfen, die Probleme in Bezug auf Nachhaltigkeit zu erkennen, die Finanzinstitute, Versicherer und andere Geschäftspartner kritisieren könnten.
„GIS ist der Ankerpunkt“, sagt Pablo Izquierdo, GIS-Leiter für das WWF Intelligence-Team. „Hier lässt sich alles zusammenführen.“
Die Unwägbarkeiten messen
Die Definition des Begriffs Spatial Finance ist weit gefasst und kann technisch auf jede Art von Wirtschaftsindikator angewendet werden, der vom Weltraum oder von terrestrischen Sensoren aus messbar ist. Während der COVID-19-Pandemie verließen sich einige Investoren auf Satellitenbilder chinesischer Automobilwerke, um die wirtschaftliche Aktivität zu bewerten und ihre Investitionen anzupassen. Hedgefonds haben die Fernerkundung zur Überwachung von Ölbeständen, Holzvorräten und Ernteerträgen eingesetzt.
Der innovativste Einsatz von Spatial Finance besteht jedoch darin, Umweltergebnisse messen zu können, die sich normalerweise nicht klar umreißen lassen, wie beispielsweise die kohlenstoffbindende Wirkung unbebauter Böden oder die Auswirkung von Bestäubern, oder auch invasiven Arten auf die Landwirtschaft oder auf Waldflächen. Der WWF und andere Organisationen bezeichnen diesen enger gefassten Anwendungsbereich als räumliches ESG.
Finanzinstitute, die Investitionen häufig über Jahrzehnte hinweg anlegen, erkennen zunehmend, wie wichtig es ist, Methanemissionen, die Zerstörung von Lebensräumen und andere Aktivitäten zu minimieren, die der Natur schaden und die Klimarisiken erhöhen. Spatial-Finance-Analysten setzen auf fortschrittliche Datentechnologie und Location Intelligence, also das Wissen um den Standort, um diese Faktoren in die Bilanz – oder besser gesagt, in die smarte Karte – zu übertragen.
„Die Fähigkeit, Dingen einen ökonomischen Wert zuzuweisen, vor allem positiven externen Effekten, die bisher als selbstverständlich galten, ist ein Schlüsselaspekt dieser Diskussion“, sagt Richard Hall, Präsident von Buckhead Resources, einem Unternehmen für Management und Beratung zu natürlichen Ressourcen mit Sitz in Atlanta, US-Bundesstaat Georgia.
S&P Global hat beispielsweise Satellitenbilder der NASA verwendet, um öffentliche Wasserversorger zu untersuchen. Die Analysten stellten fest, dass Versorgungsunternehmen, die in der Nähe von Ökosystemressourcen wie immergrünen Wäldern angesiedelt sind, bessere Ergebnisse bei den Schuldenkennzahlen erzielten. Vor dem Hintergrund von Dürren und zunehmender Wasserknappheit kann diese Art von Location Intelligence die Kreditwürdigkeit und den Markt für kommunale Schuldtitel beeinflussen.
Der Finanzsektor ist unglaublich wichtig für die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden und wie die natürliche Welt beeinflusst wird.
David Patterson, Leiter der Conservation Intelligence der nationalen Sektion des World Wide Fund for Nature (WWF) im Vereinigten Königreich
Zwei Sichtweisen auf den Wert der Nachhaltigkeit
In der Rohstoffindustrie wird GIS schon seit langem eingesetzt, um wichtige Daten und Informationen wie Holzbestände oder Immobilienwerte zu verwalten und zu verfolgen, erklärt Richard Hall, der auch als Dozent für Finanzwesen im Bereich natürliche Ressourcen an der Auburn University tätig ist. Mit GIS, das KI nutzt, um Satellitenbilder und Sensordaten in Kontext zu setzen, können Investoren, Versicherer, Kreditgeber und andere Interessengruppen nun die so genannten Ökosystem-Services berücksichtigen.
Satellite as a Service (die neue SaaS)
GIS-Nutzende können jetzt per Knopfdruck einen Satelliten beauftragen, Bilddaten von einem bestimmten Ort zu sammeln. Diese On-Demand-Sicht der Welt könnte in der zukünftigen Ausrichtung der Spatial Finance eine wichtige Rolle spielen.]
Der Begriff Ökosystem-Services, der durch das von den Vereinten Nationen geförderte Millennium Ecosystem Assessment populär wurde, beschreibt die Vorteile, die wir als Gesellschaft und der Planet insgesamt aus gesunden Ökosystemen wie Wäldern, Feuchtgebieten, Küstenriffen und Mangrovenwäldern ziehen. Unternehmen wie Buckhead Resources sehen Bäume eben nicht nur im Hinblick auf den Dollarwert des Holzes, sondern nutzen Spatial Finance, um auch den Wert eines Waldes als Kohlenstoffsenke, als Einnahmequelle aus der Jagd oder anderen Freizeitaktivitäten oder als natürliches Bollwerk zur Verhinderung der Bodenerosion zu quantifizieren.
Die zwei Sichtweisen, die mit Spatial Finance möglich sind, helfen Richard Hall dabei, Landbesitzer, Holzunternehmen und andere Kunden bei komplexen Fragen zu unterstützen. Durch die Analyse von Parametern wie Boden- und Wasserqualität und nahegelegener Verkehrsinfrastruktur in einem geographischen Kontext kann er ein Unternehmen beraten, wie es Land optimal für eine Mischnutzung aus kommerzieller Forstwirtschaft, Bergbau oder Naturschutz bewirtschaften kann. Dieselbe Analyse lässt sich auch auf Forst- und andere Rohstoffunternehmen übertragen, die einen Übergang von einer auf die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen ausgerichteten Landnutzung zu Nutzungen wie Immobilienentwicklung, Infrastruktur oder erneuerbare Energien erwägen.
Für Hall, der sein Unternehmen erst vor zwei Jahren gründete, sind die Daten und analytischen Funktionalitäten von GIS der Dreh- und Angelpunkt von Spatial Finance, denn sie helfen dabei, die Art von Erkenntnissen zu gewinnen, die normalerweise von einem viel größeren Unternehmen stammen würden. „Wir sind in der Lage, so viel mehr zu tun, als wir sonst tun könnten, indem wir unsere Fähigkeiten mit einer leistungsstarken GIS-Plattform kombinieren“, sagt er.
Es ist entscheidend, Daten mit einem guten GIS-Paket zu visualisieren und effektiv zu verwalten. Aber genauso wichtig wie die Visualisierung ist die Integration dieser räumlichen Daten mit den Finanzdaten.
Richard Hall, Buckhead Resources
Regulierungsrisiken sichtbar machen
Ein weiterer Bereich, in dem Spatial Finance schnell an Zugkraft gewinnt, ist die Überwachung von Reputations- und Regulierungsrisiken. Viele Finanzverträge enthalten heutzutage Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien (ESG) zu Maßnahmen wie Kohlenstoffemissionen. Für multinationale Unternehmen sowie die Banken und Investoren, die diese Unternehmen finanzieren, kann mangelnde Transparenz bezüglich der Auswirkungen von Lieferketten oder der Handlungen von Geschäftspartnern zu Geldstrafen und negativen Schlagzeilen führen.
„Es gibt eine große Nachfrage seitens der Finanzinstitute, die besser verstehen wollen, was vor sich geht“, sagt Patterson vom WWF. „Sie werden mit einer Vielzahl von Richtlinien überhäuft. Sie unterzeichnen Verträge und haben in vielen Fällen Schwierigkeiten zu verstehen, ob sie die darin enthaltenen Vereinbarungen überhaupt einhalten.“
Eine Bank, die die Äquator-Prinzipien, einen wichtigen Maßstab für sozial verantwortliche Praktiken von Finanzinstituten, einhält, muss beispielsweise die Auswirkungen von Krediten auf kritische Lebensräume mit großer biologischer Vielfalt berücksichtigen. Mit einem GIS-gestützten Dashboard können Bankmanager Fernerkundungsdaten nutzen, um zu überwachen, wo Unternehmen in ihrem Portfolio in der Nähe von geschützten Gebieten tätig sind.
„Die meiner Kenntnis nach klugen Akteure sind diejenigen, die die Entwicklungen genau beobachten, sich vorbereiten und Kapazitäten aufbauen, die richtigen Leute einstellen und bereits vor Ort sind sowie Zugang zu Bestandsdaten und besseren Umweltdaten fordern“, sagt Patterson.
Wachsen, schützen und erhalten
Es ist bezeichnend, dass viele der Orte auf der Erde, die den höchsten Grad an Biodiversität aufweisen, auch reich an natürlichen Ressourcen sind. Gesunde Ökosysteme fördern die idealen Bedingungen für natürliches Leben, und daraus ergeben sich oft wirtschaftliche Möglichkeiten.
Spatial Finance und die Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien auf Basis von Location Intelligence unterstützen Finanzinstitute dabei, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung des Reichtums der Erde und deren Schutz für zukünftige Generationen zu finden.
Dieser Beitrag ist eine Übersetzung des amerikanischen Original-Beitrags.
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