Die globale Erwärmung macht auch vor der Nordseeküste nicht Halt. Wir sprechen mit Jörn Kohlus, GIS-Koordinator im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, wie sich die Temperaturveränderungen auf die Natur im Norden auswirken, was wir tun können und welche Rolle GIS dabei spielt.
Die Polarkappen schmelzen, die Temperaturen steigen. Können Sie die gegenwärtigen Auswirkungen im UNESCO-Weltnaturerbe und Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer genauer beschreiben?
Jörn Kohlus: In einem so dynamischen Raum wie dem Wattenmeer sind Wirkungen einer Ursache besonders schwierig zuzuweisen. Am einfachsten lässt sich mit dem Schmelzen der Polarkappen der Anstieg des Meeresspiegels verknüpfen; die Grundwirkungen ähneln sich derer, wie wir sie bereits von der Erwärmung nach der Eiszeit kennen. Ein Wattenmeer reagiert darauf damit, dass es steiler wird: Die Wasserrinnen werden tiefer, die Wattflächen und Marschen wachsen höher auf und die Strömungen nehmen zu.
Die natürliche Klimaanpassung des Wattenmeeres benötigt einen Eintrag von Sedimenten von der Seeseite und stößt landseitig auf Deich oder Geesthänge. Die Landesregierung hat auf diese Situation mit der Erarbeitung der „Strategie für das Wattenmeer 2100“ reagiert, in der mögliche Handlungsoptionen beleuchtet werden.
Wie sich der Klimawandel auf Fauna- und Flora auswirkt, ist weitaus schwieriger zu fassen. Wir haben eine zunehmende Geschwindigkeit des Einwanderns von Arten aus wärmeren Gebieten beobachtet, die sich dann auch bei uns ausbreiten und etablieren können. Ein Beispiel ist der Löffler. Die milderen Winter der letzten Jahrzehnte könnten möglicherweise in Zusammenhang stehen. Durchschnittlich mehr Wärme wird den Stoffwechsel verstärken und die Nahrungsnetze als ökologische Verbindungslinien werden sich verändern – aber wie?
So war beispielsweise zu beobachten, dass im Frühsommer der letzten Jahre die Vorländer während der Brutzeit häufiger überflutet wurden – mit großen Verlusten bei den Beständen einiger Vogelarten. Ein Zusammenhang jahreszeitlicher Verschiebungen mit dem Klimawandel ist naheliegend. Jedoch kann niemand ausschließen, dass es im Verlaufe des Klimawandels regional sogar zu umgekehrten Verschiebungen kommen kann.
Selbst ohne Wandel lässt sich die Wirkung des Klimas auf das europäische Wattenmeer eher allgemein als konkret beschreiben.
Mit welchen Maßnahmen reagiert der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer darauf?
Der Klimawandel wird in den dicht besiedelten und industriellen Regionen produziert; also in Gebieten, die genau das Gegenteil eines Nationalparks darstellen. Eine Nationalparkverwaltung kann nur auf Auswirkungen reagieren – also auf negativ bewertete Veränderungen. Die Ursachenzuordnung zum Klimawandel ist dabei nicht einfach und für die Reaktion auch meist irrelevant.
Die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, dass es nur in wenigen Fällen geeignete Maßnahmen gibt. In einem dynamischen Küstenmeer ist es meist unmöglich, eine eingewanderte Art wieder zu verdrängen. Dass das über lange Zeit evolutionär entwickelte Verhalten bei der Auswahl eines Brutplatzes in Zeiten des Klimawandels zunehmend weniger geeignet ist, können wir erkennen, aber nicht ändern.
“In einem dynamischen Küstenmeer ist es meist unmöglich, eine eingewanderte Art wieder zu verdrängen.”
Jörn Kohlus, GIS-Koordinator im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Zu bedenken ist auch, dass jede Maßnahme ein Eingriff in die Natur ist und fast unvermeidbar auch negative Begleitwirkungen hat. Der Unterschied zwischen einem Naturschutzgebiet und einem Nationalpark liegt eben darin, nicht der Natur mit Maßnahmen zur Seite springen zu wollen, sondern nur durch die Reduktion des anthropogenen Einflusses dafür Raum zu geben, die Natur Natur sein zu lassen.
Aktive Handlungsfelder ergeben sich vor allem darin, die Auswirkungen zu dokumentieren, die Erkenntnisse an unsere Gäste und Interessierte sowie an Entscheidungsträger heranzutragen. Die Nationalparkverwaltung in Schleswig-Holstein hat hierbei schon sehr früh reagiert und ein Umweltmonitoring angestoßen, das nicht nur regional ausgerichtet ist, sondern sich über das gesamte europäische Wattenmeer erstreckt – TMAP, das Trilaterale Monitoring- and Assessment-Program. In dieses gehen seit knapp 25 Jahren auch Parameter zum Meeresspiegelanstieg ein. Unser Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum fungiert zudem als Bildungszentrum für Klimaschutz in Schleswig-Holstein. Der Fokus liegt darauf, junge Menschen durch innovative Informations- und Bildungsangebote für den Klimaschutz zu sensibilisieren und sie in ihrem – meist schon bestehenden – umweltbewussten Denken weiter zu bekräftigen.
Wie nutzen Sie GIS?
Vor etwa dreißig Jahren habe ich den Arbeitskreis GIS Küste mit einigen wenigen Mitstreitern ins Leben gerufen. Bereits damals wurde GIS zur Ermittlung von Werten in niedrig gelegenen Gebieten eingesetzt, um die Folgen eines Meeresspiegelanstiegs zu bewerten. Wir nutzten dafür die klassische GIS-Technik, bei der Elementen digitaler Karten bestimmte Eigenschaften zugeordnet wurden.
Die damaligen GIS-Szenarien waren recht simpel, da es kaum hochauflösende Daten gab. Die Überflutungsgefahr von Gebieten wurde nicht erkannt, weil schmale Tiefstellen in den Datengrundlagen nicht auftauchten. Mit den heutigen Laserscandaten lassen sie sich identifizieren. Wir können mittels GIS aus diesen Daten sogar eine erste realistische Vorstellung über die Höhenstrukturen in den Salzmarschen des Vorlandes erhalten. Die dabei eingehenden Datenmengen lassen sich nur noch technisch nutzen. GIS ist hier eine zentrale Technologie, die das Verständnis und die Nutzung von Daten ermöglicht.
Seit den 2000ern spielt die zeitliche Dimension in GIS-Vorträgen zur Küste eine immer zentralere Rolle. So ermöglicht komplexe Georeferenzierung die Einbindung von historischem Kartenmaterial. Das gibt uns Antworten auf Fragen wie: Welche Folgen waren früher mit klimatischen Veränderungen verbunden? Und: Welche Reaktionen gab es damals?
Zusammenfassend: GIS-Technik macht Daten anschaulich. Darüber hinaus ermöglicht sie die Modellierung von Veränderungen. Gekoppelt mit modernen Verfahren zur Modellierung und Prognose von Umweltfaktoren, geben uns GIS-Karten schnell eine Vorstellung von möglichen Auswirkungen auf unsere Lebenswelt.
Können Sie uns ein konkretes GIS-Projekt beschreiben, anhand dessen sich die Auswirkungen des Klimawandels erkennen und dokumentieren lassen?
Wenn wir annehmen, dass die milden Winter der letzten Jahrzehnte Teil des Klimawandels sind und dass sich die pazifische Auster durch die milden Winter im schleswig-holsteinischen Wattenmeer etabliert hat, dann zeigen die GIS-Karten unseres Monitorings der Muschelbänke eine Auswirkung des Klimawandels.
In einem anderen GIS-Projekt erfassen wir die Veränderungen und Sedimentation auf dem Vorland auf sehr kleinen Flächen. Die Komplettkartierungen der Vegetation der Vorländer im Sechsjahresabstand zeigen kontinuierliche Zuwächse seit Beginn des Jahres 1989. Das funktioniert aber nur so lange, wie genügend Sedimente von See in das Wattenmeer zum Ausgleich eingetragen werden.
Kennen wir weitere Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und den von uns beobachteten Parametern, werden sich die Beispiele mehren.
Wie trägt der GIS-Einsatz dazu bei, die Öffentlichkeit zu informieren und zum umwelt- und klimabewussten Handeln zu motivieren?
Digitale Karten zur Navigation oder Reiseplanung sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Auf solchen Plattformen lässt sich auch Umweltwissen vermitteln – beispielsweise über die besuchten Orte oder über die Klimaschäden, die bei der Anreise entstehen.
Aber auch GIS-Systeme, oder zumindest Teile davon, sind für den normalen Endanwender zusehends zugänglich. Ein Beispiel sind Story Maps, mit denen sich Geschichten via Karten erzählen lassen.
Umfassende GIS-Systeme sind in der Regel jedoch etwas komplexer aufgebaut und erfordern Vorwissen. In zwei Tagen lässt sich GIS allerdings so gut vermitteln, dass es sich in kleinen Gruppen für einfache gemeinsame Projekte einsetzen lässt: von der Datenerfassung über die Verarbeitung bis hin zur Ergebnisdarstellung. Dabei entwickelt sich schnell ein kritisches Verständnis von Sachverhalten.
So läuft es seit einigen Jahren auch in unseren Sommercamps. In diesen erfassen Schüler mit Unterstützung der Nationalparkverwaltung Referenzdaten für das Seegrasmonitoring, bearbeiten diese und präsentieren am Ende das Ergebnis.
Erfahren Sie in diesem kostenfreien E-Book, wie sich mit GIS unsere Umwelt besser verstehen lässt.
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