Location Intelligence kann Unternehmen erfolgreicher machen. Aber der Einsatz ist auch mit Herausforderungen verbunden. Jürgen Schomakers, Geschäftsführer von Esri Deutschland, und Jan Bungert, Head of Platform & Data Management bei SAP Deutschland, loten Chancen und Risiken aus.
Herr Schomakers, Herr Bungert, eine Definition von Location Intelligence lautet: komplexe Daten durch den Einsatz von geografischen Beziehungen zu organisieren und zu verstehen. Was halten Sie von dieser Erklärung?
JÜRGEN SCHOMAKERS Sie geht in die richtige Richtung, ist aber unvollständig. Location Intelligence bedeutet, dass Unternehmen große Mengen geografischer, interner betriebswirtschaftlicher und externer Daten zusammenbringen, analysieren und nutzen, um kundenorientierter und wettbewerbsfähiger zu werden …
JAN BUNGERT … und das in Echtzeit! Es geht um die Möglichkeit, Daten aus verschiedenen Quellen ad hoc zu verknüpfen und auszuwerten, um situativ bessere Angebote, Services, Produkte und Prozesse zu kreieren. Kurzum: Location Intelligence schafft neue unternehmerische Spielräume im Zeitalter der Digitalisierung.
Zum Beispiel?
JS Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Haus unweit der Donau bauen und es versichern. Sie holen Angebote ein, rufen Versicherer an, stellen Online-Anfragen. Für den Versicherer ist unter anderem wichtig zu wissen: Ist das ein Hochwassergebiet, wie oft traten Überflutungen auf, was charakterisiert die Umgebung, wie hoch ist die Kriminalitätsrate? Kombiniert er die Antworten geschickt mit seinen eigenen betriebswirtschaftlichen Daten, kann er Ihnen im Handumdrehen ein detailliertes Angebot machen. Ein Service, den Sie als Eigenheimbesitzer schätzen.
Das klingt erst einmal gar nicht so kompliziert.
JB Das täuscht. Viele Unternehmen arbeiten intern immer noch in separaten Systemen, vor allem wenn es um geografische und betriebswirtschaftliche Daten geht. Die Kombination war und ist vielfach immer noch umständlich: Daten werden dupliziert, hin und her geladen, der Austausch lahmt. Dabei können wir diese Daten heute in sehr großen Mengen integriert und mit einer Performance vorhalten, die vor ein paar Jahren noch undenkbar war – und zwar auf einer durchgängigen technologischen Plattform. Die Unternehmensbereiche rücken zusammen und vernetzen sich, alle profitieren.
Gibt es Firmen, die das erfolgreich praktizieren?
JS Ja. Ein Beispiel: Einer unserer Kunden erkannte, dass er zu wenig kundenorientiert, zu langsam und zu wenig kostenbewusst arbeitete. Die Firma – ein multinationales Energieversorgungsunternehmen – verband unsere Software-Plattform ArcGIS mit dem SAP Enterprise-Asset-Management- und dem SAP Customer-Relationship-Management-System sowie den mobilen Anwendungen von Syclo zu einem integrierten System. Die Lage verbesserte sich zusehends. Das Unternehmen rechnet heute mit einer Kosteneinsparung von 35 Millionen Pfund pro Jahr.
Wie ist das möglich?
JB Durch den Einsatz von ArcGIS auf tragbaren Computern können die Ingenieure des Energieversorgers im Außendiensteinsatz Anlagen und Einsatzorte für fällige Wartungsarbeiten viel einfacher finden und produktiver arbeiten. Weichen die Bestandspläne der Infrastruktur vom Netzplan ab, können die Datenerfassungstechniker die Änderungen auf der Anlagenkarte einfach im Feld markieren. Diese Änderungen werden automatisch an ein zentrales Qualitätssicherungsteam gesendet und von dort aus direkt in das zentrale SAP-System eingespeist.
JÜRGEN SCHOMAKERS
(55) ist seit fünf Jahren Geschäftsführer von Esri Deutschland. „Schon im Studium wandte ich mich der Geoinformatik zu. Die Faszination hat nicht nachgelassen.“
JS Außerdem entwerfen die Ingenieure neue Netzwerke direkt auf Karten in ArcGIS. Die Arbeitsaufträge werden automatisch aus diesen digitalen Entwürfen erstellt. Die Kostenschätzungen und das Tracking von Kosten sind sehr genau, geplante Netzwerkänderungen sind für das gesamte Unternehmen sichtbar.
Das klingt überzeugend. Trotzdem ist es ja generell heikel, sehr große Datenmengen zu erheben, zu sortieren und zu analysieren. Bereits kleine Fehler können große Abweichungen zur Folge haben. Was tun Sie dagegen?
JB Big Data ist für SAP kein Neuland, die Architektur unserer Datenplattform HANA ist quasi darauf geeicht. Die Sammlung, Analyse und Speicherung der Daten durchläuft Filter und unterliegt Prüfungen sowie Regeln, die sicherstellen, dass die Daten nicht fehlerhaft sind. Natürlich ist das nicht trivial. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, dem man große Sorgfalt und Aufmerksamkeit schenken muss, aber er ist sehr gut beherrschbar.
JS Und nicht zu vergessen: Indem wir die SAP-Anwendungen mit ArcGIS koppeln, haben wir eine zusätzliche Ebene für die Prüfung der Daten. Die schlüssige Visualisierung mittels Karten ist immer wieder ein tauglicher Ansatz, um der Komplexität Herr zu werden.
Eine weitere Frage betrifft das Nutzungsrecht: Wem gehören die Daten, die bei Location Intelligence generiert und verwendet werden?
JS Weder SAP noch Esri verdienen mit den Daten Geld. Wir sind Technologie- und Lösungsanbieter und keine Datenhändler – anders als andere Unternehmen, die ihr Geld mit oder durch Kundendaten verdienen. Das ist nicht unser Geschäftsmodell.
Weder SAP noch Esri verdienen mit den Daten Geld. Wir sind Technologie- und Lösungsanbieter und keine Datenhändler.
JB Es geht dabei auch um die Frage, wo die Daten gespeichert werden. Geschieht das on premise beim Kunden, ist die Antwort klar. Setzt der Kunde auf eine Cloud-Strategie, so ist auch relevant, wo die Server stehen und welcher rechtliche Rahmen dort gilt. Die Antwort von SAP: Unsere europäischen Rechenzentren stehen in Walldorf/St. Leon-Rot und Amsterdam. Zudem verpflichten wir uns vertraglich, nicht auf die Daten zuzugreifen.
„Es geht darum, Daten aus verschiedenen Quellen ad hoc zu verknüpfen und auszuwerten, um situativ bessere Angebote zu kreieren. Location Intelligence schafft neue unternehmerische Spielräume im Zeitalter der Digitalisierung.“
Jan Bungert
Wie sichern Sie die Daten gegen Diebstahl, Manipulation oder Angriffe von außen?
JB Das kommt darauf an, wo der Kunde die Daten speichern möchte. Entscheidet er sich, seine Daten im Rahmen von Cloud-Lösungen in unseren Rechenzentren vorzuhalten, so bieten wir ein Höchstmaß an Schutz. Der Aufwand, den ein einzelnes Unternehmen leisten müsste, um die gleichen Sicherheitsstandards gewährleisten zu können, wäre sehr groß.
Ein Aspekt, der in der öffentlichen Debatte um die Nutzung von Unternehmensdaten immer wieder auftaucht, sind die teils konkreten, teils diffusen Ängste um den gläsernen Mitarbeiter, sprich: die Furcht davor, dass die Produktivität eines Angestellten jederzeit lückenlos kontrolliert wird. Inwiefern sehen Sie das Thema Location Intelligence davon berührt?
JS Ich glaube nicht, dass durch den Einsatz unserer Systeme der Mitarbeiter gläsern wird. Für die Steuerung und Kontrolle von Außendienstmitarbeitern benötigt man keine Location Intelligence. Es gibt viele andere Technologien und Verfahren, die eingesetzt werden können und zum Teil auch eingesetzt werden.
JB Die Frage ist doch immer, was ein Unternehmen aus bestimmten Technologien macht. Theoretisch könnten Sie ja zum Beispiel jedes Gespräch eines Angestellten auf dem Firmenhandy mitschneiden, aber: Dürfen Sie das rechtlich? Und wollen Sie das? Wozu soll das gut sein? Kontrolle führt nicht automatisch zu besseren Ergebnissen und mehr Effizienz. Oft ist das Gegenteil der Fall. Meine Einschätzung: Mitarbeiter brauchen und schätzen Freiheit und Eigenverantwortung, beides motiviert erheblich.
Wie groß ist der organisatorische und finanzielle Aufwand, wenn Kunden von älteren, heterogenen Systemen auf die Kombination ArcGIS und SAP HANA umziehen wollen?
JB Natürlich braucht man dafür zunächst Zeit und Ressourcen, aber unterm Strich stellt der Wechsel auf eine große Datenplattform für die meisten Unternehmen eine Vereinfachung dar. Aufwendige Systemintegrationen und die damit verbundene Komplexität fallen weg. Über eine Vereinheitlichung der Datenplattform zum Beispiel auf SAP HANA lassen sich betriebswirtschaftliche und Location-Daten effektiv zusammenführen. Der geschäftliche Nutzen übersteigt schnell die Kosten. Zudem ist eine solche Plattformkonsolidierung keine Rocket Science und lässt sich relativ schnell umsetzen.
JS Die größte Herausforderung besteht darin, dass das Thema von der IT-Abteilung und vom CIO gefordert und gefördert wird. Einzelne Fachabteilungen möchten ihre eigenen Daten und Systeme ja oft gern für sich behalten. Nur begeben sie sich dadurch aber in eine Sackgasse, weil die Werte, die ihre Daten darstellen, gar nicht genutzt werden können, sondern im eigenen Silo bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass Firmendaten nur durch die breite Nutzung im Unternehmen ihren tatsächlichen Wert entfalten.
Wo und wie muss ein Unternehmen ansetzen, um Location Intelligence zu implementieren und anzuwenden?
JS Die IT-Abteilung und das Topmanagement müssen eine ehrliche, gründliche Analyse initiieren. Entscheidende Fragen sind in meinen Augen: Haben wir eine Location Strategy? Welche geografischen Daten besitzen und brauchen wir? Welchen Wert und Zweck haben sie für uns? Welches unternehmerische Ziel können, ja, müssen wir damit verknüpfen? Welche Datenarchitektur und Technologie ergibt sich daraus? Wie setzen wir unsere Strategie umsichtig und schlüssig im Unternehmen um? Wenn sich ein Unternehmen diese Fragen ehrlich stellt und schlüssige Antworten sucht, ist es auf dem richtigen Weg.
Das Interview führte Peter Gaide
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