Arved Fuchs erreichte als erster Mensch den Nord- und Südpol zu Fuß. Im Interview verrät der Polarforscher, warum er sich heute für den Umweltschutz engagiert.
Die eisigen Breitengrade kennt Arved Fuchs wie seine eigene Westentasche. Seit 1977 ist er dort unterwegs – und versteht sich heute als eine Art Chronist des Klimawandels.
Bei der globalen Erwärmung geht es für den Abenteurer und Speaker der Esri Konferenz 2020 nicht nur um klimatologische Phänomene; auch wirtschaftliche Fragen und technische Möglichkeiten beschäftigen ihn.
Im Interview verrät der Buchautor, wie alles begann und was sein Engagement für den Klimaschutz auslöste.
Herr Fuchs, was hat Sie bewegt, in die Welt hinauszuziehen und sich für die Polarregion zu interessieren? Haben Sie ein Entdecker-Gen in sich?
Das Stichwort ‚Entdecker-Gen‘ trifft es ganz gut. Es ist ja mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass es Menschen gibt, die eher bereit sind, aufzubrechen und etwas bewegen zu wollen – in verschiedenen Bereichen: Ob im Sport oder Unternehmenskontext.
Bei mir ist das auch so. Ich war seit jeher draußen; in Schleswig-Holstein in den Wäldern und auf den Wiesen. Dazu kam: Ich bin mit Büchern – und ohne Fernseher – aufgewachsen. Die vielen Lektüren zuhause haben meine Neugier angesprochen und ich lernte schon früh große Seefahrer und Polarforscher kennen. Als Jugendlicher wollte ich natürlich auch Abenteurer werden. Im Erwachsenenalter wurde diese Frage schließlich ernst: Ich bin dann zur See gefahren – und so ging das Ganze los.
Man kann meine Affinität zum extremen Abenteuer vielleicht ganz gut mit Leistungssportlern vergleichen. So wie diese sich freuen, wenn sie ein Hundertstel schneller sind, habe ich Spaß an physischen und mentalen Herausforderungen. Dazu kommt meine Neugierde.
Stichwort ‚Neugierde‘: Wie sehen Sie – als Buchautor – das schnelllebige Zeitalter der digitalen Medien? Haben wir noch genügend Zeit für inspirierende Abenteuergeschichten?
Ich glaube nicht, dass weniger gelesen wird. Es gibt heute viel mehr Bezugsquellen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich heute Vieles an der Oberfläche bewegt. Möglicherweise lässt auch die Bereitschaft nach, in die Tiefe zu gehen. Was meinen Bereich angeht, merke ich diese Veränderung auch. Als wir beispielsweise Mitte der 90er das südliche patagonische Inlandeis durchquert hatten, waren wir die Ersten.
Wir hatten uns drei DIN-A4-Blätter kopiert, um zu wissen, wie es da oben aussehen könnte.
Heute bereitet man sich komplett anders vor. Wir haben ganz andere Möglichkeiten. Damals war es für uns ganz normal, dass wir auf eine ‚Terra incognita‘ treffen würden. Im Bereich der Navigation wird diese Veränderung besonders gut deutlich: Am Nord- und Südpol haben wir noch astronomisch mit Sextanten, künstlichen Horizonten und Kompass navigiert; heute drückt man auf den Knopf und weiß, in welche Richtung es geht. Ich freue mich, dass ich beide ‚Zeiten‘ kenne.
Der Trip zum Nordpol kann heute per Mausklick gebucht werden. Haben Reisen an den Polarkreis heute noch dieselbe Bedeutung?
Heute gibt es einen regelrechten Run. Bei sogenannten Last Degree Expeditionen lässt man sich beispielsweise einfliegen und läuft die letzten 60 Meilen zu Fuß. Wenn Sie mich fragen, fehlt hier jedoch etwas – gemäß der alten Redensart ‚Der Weg ist das Ziel‘.
Genauso ist es beim Bergsteigen. Wer sich unter den Gipfel des Mount Everest fliegen lässt, war zwar vielleicht oben, aber hat nicht den ganzen Weg mit all den Herausforderungen und wunderbaren Eindrücken beschritten. Ich bedaure das ein bisschen, weil man damit der Aufgabe und der Geografie nicht ganz gerecht wird.
Vom Abenteurer zum Umwelt- und Klimaschützer – was hat Ihr Engagement ausgelöst?
Als ich anfing, standen das Abenteuer und die Liebe zur Natur im Vordergrund. Sie müssen wissen: Man kann solche Expeditionen nur machen, wenn man zu einem genauen Beobachter wird.
Mit Umweltthemen hatte ich mich immer schon auseinandergesetzt: Beispielsweise in den 80er Jahren, als die Dünnsäureverklappungen in der Nordsee stattgefunden haben; damals war ich an Hilfsaktionen beteiligt. Oder: Ende der 70er Jahre in Borneo als tropische Wälder abgeholzt wurden.
Mein Schlüsselerlebnis fand aber schließlich 2002 statt. Wir starteten unseren vierten Versuch durch die Nordostpassage nördlich Sibiriens. Zuvor waren wir drei Mal an dieser Route gescheitert, weil die Natur unbezwingbar war. Dann aber ging das plötzlich problemlos. Da ist man erstmals verunsichert und fragt sich: Ist das eine subjektive Momentaufnahme oder mehr? Ich hatte dann angefangen, mich intensiv mit Klimaforschern auszutauschen und deren Publikationen zu studieren. Mir wurde klar: Das Klima verändert sich.
Ich habe mich daraufhin gefragt, wie ich damit umgehen sollte. Für mich stand relativ schnell fest: Du kannst nicht nur mit schönen bunten Bildern zurückkommen, sondern stehst auch in der Pflicht des Chronisten. So ist dieses Engagement entstanden.
Sie haben die Folgen des Klimawandels mit Ihren eigenen Augen gesehen. Erreichen Ihre Auftritte und Botschaften das Publikum nochmal auf eine andere Art und Weise?
Ich glaube schon. Vielleicht nehme ich auch eine Art Stellvertreterrolle ein. Die Menschen kommen zu Veranstaltungen, weil sie sich für die Region interessieren. Und treffen dann auf jemanden, der seine Eindrücke überzeugend schildert, weil er selbst seit Jahrzehnten dort war. Wichtig ist mir dabei, selbst authentisch zu bleiben und nicht den moralischen Zeigefinger zu erheben.
Ich stelle mich auch schon mal hin und sage: Ich bin Teil des Problems. Vielleicht könnte man es so ganz gut zusammenfassen: Die Wissenschaftler liefern die Daten und ich die Impressionen. Das hilft den Leuten, sich Klimafolgen bewusster zu machen und sich in Betroffene hineinzuversetzen; zum Beispiel, wenn sie sehen, wie Häuser nach und nach an bröckelnden Küsten wegerodieren.
Ihre Bilder verkörpern die Nähe zur Natur. Wie wichtig ist diese Erfahrung?
Viele wissen heute gar nicht mehr, was eine sternenklare Nacht ist. Wenn junge Leute in unsere Camps kommen und nachts die Sternenkuppel am Strand sehen, sind sie meist völlig sprachlos, weil sie so etwas in den lichtüberstrahlten Städten noch nie gesehen haben.
Das ist für uns eine tolle Erfahrung. Wir machen diese Camps seit 2007 und merken: Man kann diese jungen Leute heute noch genauso ansprechen, wie man uns damals angesprochen hat. Die Begeisterungsfähigkeit für gebratene Würstchen am Lagerfeuer bei sternklarer Nacht ist heute noch genauso gegeben; nur in einer zunehmend virtuellen Welt halt nicht mehr so häufig im Portfolio.
Blicken wir in die Zukunft: Wie kann die Digitalisierung dabei helfen, die Umwelt zu schützen und den Klimawandel abzubremsen?
Man muss die Menschen mitnehmen. Das Problem wird nicht in irgendwelchen politischen Etagen geregelt – und löst sich schon gar nicht von selbst. Der Druck muss von unten kommen; von uns allen! Ob in der Politik oder Wirtschaft.
Ein Beispiel ist das Konsumverhalten: Dass Discounter ihre Gurken nicht mehr in Plastik verpacken, kommt nicht von irgendwoher, sondern geschieht deshalb, weil für viele Menschen in Plastik verpackte Bio-Gurken ein Widerspruch sind. Die Wirtschaft reagiert darauf. Ähnlich verhalten sich andere Systeme wie Politik oder Medien.
Den Beitrag, den jeder von uns leisten kann ist: Informieren und sachlich bleiben. Wichtig dabei: Man muss eine Seite in den Menschen zum Klingen bringen, ob durch Bilder, Daten, Karten oder Geschichten. Die Digitalisierung schafft die Basis dafür, Menschen mitzunehmen.