Wer in Zürich bisher Wohnungen in Hochhäusern verkauft, der weiß genau: Je höher die Etage, desto lukrativer das Objekt. Doch stimmt dieses Credo immer noch? Oder ist die sogenannte Stockwerkprämie im Zeitalter der Daten längst überholt?
Wir sprechen mit Jörn Schellenberg, Leiter GIS-Analysen bei der Zürcher Kantonalbank, wie sich Preis, Aussicht und Lage differenziert bewerten lassen.
Herr Schellenberg, was bedeutet es eigentlich, eine „schöne“ Aussicht zu haben?
Unter einer schönen Aussicht stellen sich die meisten wohl eine möglichst unverbaute Fernsicht in die Natur vor. See-, Fluss- und Bergsicht spielen dabei eine wichtige Rolle. Wer möchte nicht den goldenen Glanz des Ufers und die faszinierenden Spiegelungen der Sonne im See von der eigenen Terrasse aus genießen, wenn die Sonne an einem lauen Sommerabend langsam hinter den Bergen untergeht?
Ja, dieser Blick ist in Städten oft rar. Doch stimmt es wirklich, dass die Aussicht in Städten mit zunehmender Höhe immer „besser“ wird?
Nicht in jedem Fall! Dieses Bild steckt in den Köpfen vieler Immobilienvermarkter. Unsere 3D-Aussichtsberechnungen für sämtliche Wohnungen der Schweiz haben jedoch Erstaunliches zu Tage gebracht: Selbstverständlich sieht man in den unteren Etagen nur auf die Nachbargebäude. Erst wenn man die Höhe der umliegenden Gebäude übertrifft, kann der Blick in die Ferne schweifen. Die Aussicht bessert sich von einer zur nächsten Etage oft schlagartig. Je nach Lage sieht man beispielsweise von Zürich aus plötzlich bis in die Alpen oder gar auf den Zürichsee.
Auch die beiden von begrünten Uferlinien umsäumten Flüsse der Stadt prägen das Panorama markant. Soweit stimmt die Regel von der besseren Aussicht mit zunehmender Höhe. Gerade aber in Bezug auf die Flusssicht haben wir am Beispiel des geplanten Wohnhochhauses Depot Hard in Zürich West festgestellt, dass man die Limmat von den mittleren Etagen aus deutlich besser sieht. Da das Gebäude direkt am Ufer entsteht, ist der Winkel in den obersten Geschossen zu spitz für eine gute Sicht, weil der Fluss außerhalb des natürlichen Blickfelds liegt.
Es kommt hinzu, dass selbst die obersten Etagen kaum mit einer Seesicht punkten werden, da diese durch die Skyline der Stadt und das Bürohochhaus auf der anderen Straßenseite verdeckt wird. Wer Wert auf eine gute Aussicht legt, sollte sich daher in diesem Fall bevorzugt für eine mittlere Etage entscheiden. In Bezug auf die Aussicht wird diese Wohnung vielleicht sogar zu günstig angeboten werden.
Können Sie konkrete Beispiele nennen, welche Faktoren die Qualität der Aussicht – und somit den Objektwert – beeinflussen?
Zum einen geht es darum, wie weit man sieht und zum anderen natürlich darum, was man sieht. Gerade in dicht bebauten Städten ist die Sicht auf einen See, auf markante Berggipfel oder auch nur auf Flüsse ein sehr kostbares Privileg. Insbesondere für See- und Bergsicht gibt es eine hohe Zahlungsbereitschaft von Käufern und Mietern. Ein hoher Anteil an bebautem Terrain im Sichtfeld wird dagegen abgestraft. Aber selbst, wenn die Sicht nur von den umliegenden Gebäuden geprägt ist, macht es einen Unterschied, ob dies prunkvolle historische Gebäude sind oder schmucklose Zweckimmobilien.
Wie lässt sich die Qualität der Aussicht vor dem Bau frühzeitig und differenziert bewerten?
Ausgangspunkt unserer Analysen sind zigtausend Immobilientransaktionen aus der Vergangenheit, bei denen der erzielte Verkaufspreis sowie die Objekt- und Lageeigenschaften bekannt sind. Zu den Lageeigenschaften zählt die Aussicht, die wir auf Basis umfassender Sichtbarkeitsanalysen mit dem aktuellen Gebäudebestand berechnet haben.
“Man kann sich eine Wohnung im Prinzip wie einen prall gefüllten Einkaufswagen vorstellen.”
Jörn Schellenberg, Leiter GIS-Analysen bei der Zürcher Kantonalbank
Mithilfe statistischer Modelle lässt sich bewerten, welcher Aussichtsfaktor welchen Preis hat. Man kann sich eine Wohnung im Prinzip wie einen prall gefüllten Einkaufswagen vorstellen. Der Gesamtpreis des Einkaufswagens ergibt sich aus der Summe der Einzelpreise der Produkte bzw. der einzelnen Eigenschaften wie die Aussicht einer Wohnung. Ist der Gesamtpreis vieler Einkaufswagen mit denselben Produkten in unterschiedlicher Quantität bekannt, lässt sich auf den Preis jedes einzelnen Produktes schließen.
Hat man auf diese Weise den Wert verschiedener Aussichtsfaktoren bestimmt, ermittelt man diese Faktoren (z.B. den Anteil der Seesicht im Sichtraum) für eine noch nichtexistierende Wohnung und multipliziert diese mit dem Preis jeder einzelnen Einheit der betreffenden Eigenschaft, um aus der Gesamtsumme einen fairen Marktpreis für die Aussichtsqualität zu erhalten.
Mit welcher Technologie erstellen Sie Ihre Analysen?
Die rechenintensiven Sichtbarkeitsanalysen haben wir automatisiert mittels des Python-Site-Pakets “ArcPy” durchgeführt. Grundlage waren ein schweizweiter 3D-Gebäudedatensatz, ein Geländemodell und ein flächendeckender Bodenbedeckungslayer. Die Gebäude haben wir in Etagen eingeteilt und Aussichtspunkte konstruiert.
Für jeden einzelnen Aussichtspunkt erzeugen wir ein feinmaschiges Bündel aus tausenden von Sichtstrahlen und verschneiden diese mittels Line of Sight-Analysen – also ganz normalen ArcGIS-Bordmitteln – mit den anderen Gebäuden und dem Gelände. Das erste Hindernis, das den Sichtstrahl blockiert, bestimmt, was man sieht. Die Länge des Sichtstrahls zum Hindernis bestimmt, wie weit man sieht.
Die Qualitätssicherung und Visualisierungen haben wir in ArcGIS Pro umgesetzt. Da die Aussichtsqualität auch für Eigenheimsuchende von großem Interesse ist, haben wir die Aussichtsbewertungen für die Stadt Zürich in einer 3D-Applikation auf ArcGIS Online publiziert. Neben einer Gesamtbewertung der Aussichtsqualität lassen sich hier im Einzelnen die Sichtbarkeit des Sees, der Berge, Flüsse und Wälder für jede Etage sämtlicher Wohngebäude darstellen.
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