Für dieses Interview haben wir uns mit Daniel Launert, Dipl.-Ing. Raumplanung und Stadtplaner AKNW, unterhalten. Nach 17 Jahren Kernverwaltung bei der Stadt Oberhausen in Stadtentwicklung und Bauleitplanung ist er nun seit 2022 Projektmanager im Team des Modellprojekts Smart City der Stadt Oberhausen. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Digitalen Zwillings für die denkmalgeschützte Siedlung Dunkelschlag in Oberhausen-Sterkrade sowie eines hieraus entwickelten webAR-Modells für einen Haustyp der Siedliung beteiligt.
Daniel Launert
Dipl.-Ing. Raumplanung und Stadtplaner AKNW
Dabei handelt es sich um ein innovatives Projekt, das den Bürger:innen ermöglicht, aktiv an den Inhalten einer Gestaltungssatzung mitzuwirken, die, basierend auf den Belangen des Denkmalschutzes, die Gestaltungsmöglichkeiten der Häuser und Grundstücke vorgibt. Hierdurch soll bei den Anwohner:innen das Verständnis für die Belange des Denkmalschutzes gefördert werden und zudem die Akzeptanz gegenüber der Satzung gestärkt werden.
Im Fokus des Gesprächs stehen die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung eines dezentralen und kollaborativen Digitalen Zwillings, der ohne eine zentrale Steuerungsstelle bei der Stadt realisiert wurde.
Welche Rolle spielte die Einbindung der Bürger:innen im co-kreativen Prozess bei der Entwicklung des Digitalen Zwillings für die Siedlung Dunkelschlag?
Daniel Launert: Der co-kreative Prozess wurde von der Stadtplanung Oberhausen geleitet. Den Bürger:innen sollten nicht einfach Maßnahmen wie Rückbau oder Strafen aufgedrückt werden. Stattdessen wurde die Zusammenarbeit mit den Bürger:innen gesucht, um Akzeptanz und Verständnis für den Denkmalschutz zu fördern.
Können Sie das genauer erläutern?
Im Rahmen der „Smart City Oberhausen“ haben wir im Projekt „Satzungserarbeitung co-kreativ/digital“ ein webAR-Modell entwickelt. Das Modell soll die in Diskussion stehenden baulichen Elemente der Satzung zeigen und verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten visualisieren. Hierfür haben wir den die Siedlung prägenden Haustyp A ausgewählt.
Diese Visualisierung über den bloßen Satzungstext hinaus unterstützt den Diskussions- und Entscheidungsprozess bzgl. der baulichen Satzungselemente, insbesondere mit den Bürger:innen, aber auch unter den Ratsmitgliedern.
Man könnte sagen, dass der Digitale Zwilling zur Siedlung Dunkelschlag „auf dem Weg“ entstanden ist. Die für das webAR-Modell erforderlichen Daten wurden auch für den digitalen Zwilling genutzt. Durch die Erstellung der 3D-Modelle kann der Zwilling die gesamte Siedlung satzungsgerecht darstellen, indem die realen Häuser virtuell ausgetauscht werden.
Möglich wäre auch die virtuelle Darstellung des Originalzustands der Siedlung. Das finde ich großartig, weil Geschichte und Denkmalschutz so maximal erlebbar gemacht werden können, zum Beispiel durch eine VR-Brille.
Weitere Digitale Zwillinge werden geschaffen
zur Verstetigung der Kollaboration – hier die Rahmenplanung
zur Weiterentwicklung der Neuen Mitte Oberhausen
Welche technischen und organisatorischen Herausforderungen mussten überwunden werden, um einen Digitalen Zwilling ohne zentrale Koordinationsstelle zu realisieren?
Zunächst wurden die wesentlichen Prozesselemente zur Erstellung eines digitalen Zwillings identifiziert. Wir haben den uns bekannten und erfahrenen externen Dienstleister alta4 beauftragt, uns beim Digitalen Zwilling „Siedlung Dunkelschlag“ zu helfen, um möglichst schnell „auf die Bahn“ zu kommen. Der Clou dabei war, dass sie uns nicht nur zeigen sollten, dass es auf unserer bereits bestehenden Datengrundlage geht, sondern auch wie es geht, um selber Digitale Zwillinge schaffen zu können.
Ich war u.a. dafür verantwortlich, die zuständigen und interessierten Fachbereiche für den Workshop einzuladen, in dem der digitale Zwilling nachgebaut wurde. Diese Fachbereiche sollten mindestens für einen der Prozessschritte zuständig sein und bereit sein, ihre Kompetenzen zu erweitern („Allianz der Willigen“).
Unser engagiertes Vermesser-Team hat sich mit UAV-Drohnen (3D- und 360°-Drohnen) beschäftigt, und wir haben weitere Fachbereiche geschult. Dies führte zu mehr Engagement, sich in die jeweilige Materie einzuarbeiten – ein sich selbst verstärkender Prozess. Das hat mich mega glücklich gemacht.
Wie haben Sie sichergestellt, dass der digitale Zwilling die denkmalgeschützten Aspekte der Siedlung genau widerspiegelt, während gleichzeitig Raum für moderne Eingriffe geschaffen wurde?
Auf Fotos oder Luftbildern sehe ich einzelne Verstöße gegen den Denkmalschutz. Im digitalen 3D-Zwilling kann ich mich hingegen durch die Siedlung bewegen und erlebe die jetzige Heterogenität der gesamten Siedlung und das ganze Ausmaß der An- und Umbauten wesentlich stärker. Mit dem Digitalen Zwilling kann ich Ortsbegehungen machen, ohne wirklich vor Ort zu sein.
Mit dem ersten Digitalen Zwilling von Oberhausen haben wir gezeigt, was damit alles möglich ist. Der Digitale Zwilling hat großes Potenzial, um Planungen besser verständlich und Szenarien erlebbar zu machen und so eine gemeinsame Diskussionsbasis zu schaffen. Bei 2D-Plänen oder schönen Renderings, die oft nur eine bestimmte Perspektive zeigen, fehlt oft diese gemeinsame Grundlage.
Ein Beispiel: Bei Präsentationen auf Messen oder in der Verwaltung fanden alle die Schattenwurf-Funktion besonders interessant. Damit kann ich in Neubauprojekten wesentlich transparenter und „ehrlicher“ mit den Bürger:innen diskutieren, da klar gezeigt werden kann, ob ein Bau den Garten im Sommer nach 17 Uhr in den Schatten stellt oder ob die Bürger:in noch die Abendsonne genießen kann. Man kann im Digitalen Zwilling auch die Größe der Gebäude besser einschätzen. Große Neubauten könnten, aus einem kleinen Garten heraus gesehen, erdrückend wirken.
Zurück zur Siedlung Dunkelschlag und dem Denkmalschutz, haben wir aus 3D-Daten Bauteile herausgesucht, die noch dem Denkmalschutz entsprechen. Diese Bauteile haben wir in einem webAR-Modell kombiniert, um ein Haus zu rekonstruieren, das dem Original entspricht, aber so leider nicht mehr existiert. In diesem Modell können einzelne Bauteile hinzugefügt werden, um über die Inhalte der Gestaltungssatzung zu diskutieren. Wir möchten das Modell noch erweitern, um Verstöße gegen den Denkmalschutz im Vergleich zum Originalzustand zu zeigen und so das Verständnis für den Denkmalschutz zu fördern.
Aber der äußere Aspekt ist nicht alles, richtig?
Nein, der Denkmalschutz betrifft auch die inneren Strukturen – die Raumaufteilung. Wobei die einzelnen Räume früher kleiner waren als heute erwünscht, was zu zahlreichen Veränderungen geführt hat, die von außen nicht zu beobachten waren (Durchbrüche, Raumzusammenlegungen).
Hinsichtlich des Klimaschutzes und der erneuerbaren Energien ist es denkbar, dass bspw. Photovoltaik-Anlagen auf der straßenabgewandten Dachfläche erlaubt werden könnten. Sie würden so beim Durchwandern der Siedlung nicht gesehen. Hier sind bspw. PV-Dachziegel in Diskussion, die sich in die Dachfläche integrieren würden. Auch Windfänge an den Hauseingängen sind in dem webAR-Modell in Varianten enthalten und werden diskutiert.
Ich glaube, wenn unsere Bürger und die Denkmalbehörde über bauliche Lösungen sprechen würden, die den Denkmalschutz beachten, würde dieser nicht nur als Hindernis gesehen, sondern mehr geschätzt. Denn schön finden wir die Backsteinhäuschen aus unserer, im Speziellen für das Ruhrgebiet, so grundlegenden Bergbauzeit doch alle.
Welche Lehren haben Sie aus diesem Projekt gezogen, die für künftige Vorhaben relevant sein könnten?
Die Initialzündung, die wir mit unseren Projekten der Smart City Oberhausen auslösen wollen, ist beim Digitalen Zwilling ja förmlich explodiert.
Durch die Pilotierung des ersten Digitalen Zwillings konnten unsere Fachplanungen das Potenzial für ihre fachlichen Belange erkennen. Wir arbeiten nun mit ganz unterschiedlichen Inhalten und ganz unterschiedlichen Fachplanungen der Stadt zusammen.
Am wichtigsten war meiner Ansicht nach, die Hemmnisse gegenüber der technischen Herausforderung abzubauen und die Hürden, die zu überspringende Latte, runterzusetzen. Sie liegt nun auf einer Höhe, die auch bei der täglichen hohen Belastung, die unsere Kolleg:innen definitiv haben, überwindbar ist.
So war das erstmalige Erschließen der Thematik, bzgl. Vorgehen, Ausrüstung, Datenquellen etc., extrem wichtig.
Wir haben aber auch Effekte erzielt, die zu mehr Transparenz in der Verfügbarkeit von Kompetenzen und auch technischer Ausstattung geführt haben. Auch das weitere Zusammenwachsen über Dezernats“grenzen“ hinweg, sehe ich als sehr großen Gewinn an.
Haben Sie ein persönliches Projekthighlight?
Was passiert ist, dass wir städtebauliche Entwicklungsbereiche wie die Rahmenplanung zur Weiterentwicklung der Neuen Mitte Oberhausen (vor allem durch das CentrO bekannt) oder auch den klimaresilienten Umbau der Innenstadt Sterkrade durch digitale Zwillinge erlebbarer machen als durch Renderings aus nur einer Perspektive oder gar 2D-Plots.
Feuer und Flamme bin ich für unser neuestes Projekt: den Digitalen Zwilling zur Fronleichnamskirmes 2025 in Oberhausen-Sterkrade. Ein wunderbares Projekt, weil es nicht nur die Fachlichkeiten der Verwaltung, sondern auch alle Bereiche der Stadtgesellschaft sowie die Belange der Besucher:innen behandelt und die volle Kraft von Digitalen Zwillingen zeigen wird. Zudem findet die Kirmes jährlich statt und der Digitale Zwilling wird immer weiterentwickelt und so verstetigt werden.
Wir müssen nur aufpassen, dass die Besucher:innen trotz Digitalen Zwillings noch kommen und die Erlebbarkeit nicht zu real wird.
3D-Stadtmodell basierend auf CityGML des Landes NRW –
mit Baumkataster und ergänzten Fachdaten
Wenn Sie außer Denkmalschutz noch einen weiteren Anwendungsfall für Digitale Zwillinge nennen müssten, welcher wäre das?
Wir alle wissen, was da auf uns zu kommt: unsere Städte werden heißer. Der klimaresiliente Umbau unserer Bahnhofstraße in Oberhausen-Sterkrade ist daher ein schönes Beispiel.
Mit digitalen Zwillingen können wir zeigen, wie neu gepflanzte Bäume in 20 Jahren Schatten spenden. Dies macht die neuen Aufenthaltsqualitäten vorab erlebbar und unterstützt die Planung sowie die Kommunikation mit den Bürger:innen und Betroffenen.