Das Landesamt für Geobasisinformation Sachsen (GeoSN) bietet aktuell eine breite Palette an 2D-Geodaten im Geoportal Sachsenatlas an, darunter Digitale Topografische Karten, Orthophotos und Katasterdaten. Darüber hinaus stellt GeoSN auch hochauflösende, per Laserscan erhobene 3D-Geländemodelle als Open Data zur Verfügung. Diese Geodaten sind zentrale Komponenten für den Digitalen Zwilling Sachsen, ein Projekt, das GeoSN gemeinsam mit Partnern wie Esri realisiert. Der Digitale Zwilling soll vielfältige Anwendungen in der Stadtplanung, Infrastruktur und im Umweltschutz unterstützen. Ronny Zienert, Präsident des GeoSN, erläutert im Interview, wie das Projekt umgesetzt wird und welchen Nutzen es bringt.
Was ist das Ziel des Digitalen Zwillings Sachsen?
Ronny Zienert: Der Digitale Zwilling Sachsen soll ein intelligentes, räumliches, digitales Abbild des Freistaates Sachsen schaffen. Er umfasst die Vernetzung von gebietsbezogenen Geobasisinformationen, berücksichtigt auch die Methoden zur Analyse dieser Daten und übernimmt damit eine Brücken-Funktionalität, beispielsweise für die Verbindung zwischen BIM und GIS. Daten mit Raumbezug haben dabei ein herausragendes Merkmal: Durch unsere Qualitätsstandards und die Georeferenzierung sind sie verlässlich und amtlich, was beispielsweise beim Notar wichtig ist und bei Gerichtsprozessen schon mal ein K.-o.-Kriterium sein kann.
Welche Bedeutung haben Geobasisdaten für die moderne Stadt- und Regionalplanung, und wie trägt der Digital Twin des GeoSN zur Unterstützung dieser Prozesse bei?
RZ: Geobasisdaten sind heutzutage unverzichtbar, wenn es um Stadt- und Regionalplanung geht. Sie bieten die Grundlage für eine Vielzahl von Planungsprozessen und Fachanwendungen. Egal, ob bei der Entwicklung von Wohngebieten, Unternehmensansiedlungen, zum Beispiel bei TSMC im Raum Dresden, Verkehrsprojekten oder beim Katastrophenschutz: Überall spielen präzise geografische Daten eine entscheidende Rolle. Sie liefern genaue Informationen über Geländeformen, bestehende Infrastrukturen oder auch Umweltfaktoren. Ohne unsere Geobasisdaten können keine Strategien zur Klimaanpassung erarbeitet werden.
Was ist der Vorteil eines digitalen Zwillings des GeoSN?
RZ: Wir verbinden Stadt und Land, machen landkreis- und gemeindeübergreifende Planungen und Entscheidungen möglich. Als Landesbehörde stellen wir den Zwilling als digitale Infrastruktur den Kommunen kostenfrei zur Verfügung. Die Anwender werden je nach Bedarf nur einen Webbrowser oder einen GIS-Client benötigen.
Der Vorteil liegt darin, dass wir nicht nur eine statische Karte haben, sondern ein dynamisches Modell, das komplexe Zusammenhänge realitätsnah abbildet. Wir können verschiedene Datensätze miteinander kombinieren und visualisieren, wodurch sich Planungsprozesse deutlich beschleunigen und vereinfachen. Für die Stadt- und Regionalplanung bedeutet das, dass wir zum Beispiel neue Bauprojekte in einem wirklichkeitsgetreuen, digitalen Umfeld simulieren können. Es geht also nicht nur darum, den Status quo, sondern auch künftige Entwicklungen aufzuzeigen, sei es im Hinblick auf Bauvorhaben, Umwelteinflüsse oder Katastrophenszenarien. Ganz praktisch lässt sich so die Anzahl und der Umfang von Vor-Ort-Terminen deutlich reduzieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
RZ: Mit einem abstrakten Wetterbericht kann kaum jemand etwas anfangen. Was bedeuten 100 mm Niederschlag pro Stunde? Durch die Hinweiskarten des Bundesamtes für Kartografie und Geodäsie (BKG), die am 11.10.24 für Sachsen freigeschaltet wurden, werden Starkregenereignisse greifbar und im Digitalen Zwilling Sachsen noch besser in 3D begreifbar gemacht. Die Verwaltung, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger können sehen, welche Bereiche ihrer Stadt oder ihres Dorfes überschwemmt werden würden, was genau ein, zwei oder vier Meter Wasserstand bedeuten und welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um das Risiko zu minimieren. So wird nicht nur den Planern, sondern auch der Bevölkerung klar, worauf es ankommt.
Wir können heute schon in Modellen simulieren, wie Starkregenereignisse in bestimmten Regionen ablaufen. Dabei geht es nicht nur darum, wie viel Regen fällt, sondern wie das Wasser durch das Gelände fließt, wie es sich auf Flussläufe auswirkt und wo Überschwemmungen zu erwarten sind. Diese Daten sind für die Katastrophenvorsorge von unschätzbarem Wert, weil wir die Szenarien für Einsatzkräfte wie Feuerwehrleute anschaulich darstellen können. Damit können sie virtuell trainieren und Rettungsketten optimieren.
Werden Geobasisdaten bereits erfolgreich in Projekten genutzt?
RZ: Selbstverständlich sind Geodaten überall in Anwendung. Für Sachsen ist der Hochwasserschutz wegen der Fluten in 2002, 2006 und 2013 essentiell. Hier wurden in den vergangenen Jahren Geobasisdaten verwendet, um detaillierte Modelle von Flüssen und potenziellen Überschwemmungsgebieten zu erstellen. Diese Modelle helfen, genaue Vorhersagen zu treffen, wie und vor allem wo sich ein Hochwasser ausbreiten würde. Und das mit Pegelständen in Echtzeit.
Haben Sie persönlich ein aktuelles Highlight?
RZ: Aktuell ist das die Neubaustrecke Dresden-Prag, die von der Deutschen Bahn mit einem riesigen Tunnel im Erzgebirge realisiert werden soll. Geplant wird das Projekt von der DB InfraGO nach der BIM-Methode. Nach und nach erhalten wir als Partner der Bahn alle relevanten Bauwerksdaten, um diese sukzessive in unser 3D-Geländemodell und einen Prototypen des Digitalen Zwillings Sachsen zusammen mit unseren Partnern Esri und con terra zu integrieren. Dann kann man virtuell die Tunnelbauarbeiten simulieren und nötige Schritte aufgrund konkreter topographischer Gegebenheiten antizipieren bzw. wenn nötig anpassen. Dazu wurden u.a. unsere Geobasis-Daten um die Geologie, sprich Gesteinsarten, ergänzt, die vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie erhoben und aufbereitet werden. GIS-, BIM- und Geologie-Daten in Kombination, nicht nur als Animationen, das gab es so in Sachsen noch nicht.
So ein Digitaler Zwilling ist immer ein Gemeinschaftswerk – je mehr Partner, umso größer ist der Mehrwert. Der Vorteil bei dem aktuellen Tunnelprojekt ist zum Beispiel, dass man durch die Daten-Kombination weiß, wie viel und welches Gestein bei den Bauarbeiten abgebaut werden wird, um dann im nächsten Schritt zu planen, ob und wie man dieses Material nachhaltig weiterverwerten kann.
Welche entscheidenden Vorteile konnten durch den Einsatz dieser Daten realisiert werden?
RZ: Die Vorteile sind vielfältig. Erst mal geht es um die Genauigkeit. Werden beispielsweise Hochwasserschutzmaßnahmen geplant, so lassen sich auf Basis von Geobasisdaten sehr präzise Vorhersagen treffen. Das hat direkte Auswirkungen auf die zu ergreifenden Maßnahmen – sei es beim Bau von Schutzanlagen oder bei der Evakuierung von Menschen aus gefährdeten Gebieten. Hier macht es einen großen Unterschied, ob man einfach nur auf grobe Schätzungen oder auf genaue, datenbasierte Simulationen zurückgreifen kann.
Ein zweiter großer Vorteil ist die Effizienz. Gerade bei umfangreichen Infrastrukturvorhaben wie beim Projekt der Deutschen Bahn ist es entscheidend, mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Wenn man schon in der Planungsphase auf Basis von Geodaten mögliche Hindernisse, wie schwierige Bodenverhältnisse, identifizieren kann, lassen sich spätere Verzögerungen oder Kostenexplosionen vermeiden.
Aber auch die Transparenz spielt eine wesentliche Rolle. Durch die Visualisierung mit dem Digitalen Zwilling werden Daten und Planungen anschaulicher. Das bedeutet: Bürger, die sich für ein Projekt interessieren, können sich ein viel besseres Bild davon machen, was auf sie zukommt. Zum Beispiel bei Themen, wie dem Ausbau Erneuerbarer Energien, dem Denkmalschutz oder großen Gewerbeansiedlungen, ist das wichtig. So können Betroffene am Bildschirm genau sehen, welche Maßnahmen ergriffen werden und warum. Das führt zu mehr Akzeptanz und besseren Entscheidungen.
Welche weiteren Funktionen und Möglichkeiten bietet der Digitale Zwilling Sachsen – insbesondere im Hinblick auf digitale Partizipation und die Integration von Fachdaten?
RZ: Der Digital Twin ist viel mehr als nur ein 3D-Modell. Ein wichtiger Aspekt ist die digitale Partizipation. Es geht darum, die Menschen vor Ort besser einzubeziehen. Und das eben nicht nur in den großen Städten, sondern in einem Flächenland wie Sachsen idealerweise in jeder Kleinstadt und jedem Dorf. Bei Projekten, die unmittelbare Auswirkungen auf die Bevölkerung haben, zum Beispiel Bauprojekte oder Maßnahmen zum Klimaschutz können die Bürgerinnen und Bürger über interaktive Plattformen, wenn sie von den Kommunen gewollt sind, direkt mit den Behörden kommunizieren. Sie bekommen also nicht nur die Informationen präsentiert, sondern haben zudem die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben und sich in den Prozess einzubringen. Das schafft Transparenz und sorgt dafür, dass die Planungen auch im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen vor Ort stehen.
Des Weiteren erlaubt die Integration von Fachdaten, Ergebnisse aus unterschiedlichen Quellen im Digitalen Zwilling zu kombinieren – sei es aus dem Bereich Verkehr, Infrastrukturplanung oder Energiewirtschaft. So können zum Beispiel Umweltdaten in die Planung eines Bauprojekts integriert werden. Dabei wird sichtbar, wie sich Verkehrsströme einer Gemeinde oder einer Region durch eine neue Straße verändern würden. Diese interdisziplinäre Herangehensweise macht die Planungen nicht nur präziser, sondern auch nachhaltiger. Wir sehen eben nicht nur das einzelne Projekt, sondern auch, wie es in das große Ganze passt.
Wie verbessert sich die Entscheidungsfindung in komplexen Projekten?
RZ: Der Digitale Zwilling ist in komplexen Projekten besonders nützlich, weil hier viele verschiedene Faktoren zum Tragen kommen. Bei großen Bauvorhaben in einer dicht besiedelten Region beispielsweise spielen nicht nur bauliche, sondern auch Umweltaspekte, der Verkehr, der Katastrophenschutz eine Rolle. Der Digital Twin erlaubt es, diese verschiedenen Daten zusammenzuführen und zu visualisieren.
Beim Katastrophenschutz lassen sich Szenarien von Naturereignissen durchspielen. Diese Simulationen bilden dann eine verlässliche Grundlage, um Entscheidungen zu treffen, die Leben retten und Schäden minimieren können. Gerade wenn viele verschiedene Fachbereiche zusammenarbeiten, sorgt der Digitale Zwilling dafür, dass alle auf derselben, aktuellen Datenbasis arbeiten. Das optimiert die Kommunikation und die Zusammenarbeit.
Inwiefern sehen Sie den Digital Twin als Brücke zwischen verschiedenen Bereichen oder zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen?
RZ: Der Digitale Zwilling ist definitiv eine Art ´Broker’ zwischen den Disziplinen. In der Stadtplanung muss heute viel mehr interdisziplinär gedacht werden als früher. Da gibt es den Katastrophenschutz, den Umweltschutz, die Verkehrsplanung – all diese Bereiche sind in Einklang zu bringen, um nachhaltige Lösungen zu finden. Der Digitale Zwilling ermöglicht es uns, alle relevanten Informationen zu kombinieren und zu analysieren. Er schafft damit die Grundlage dafür, dass verschiedene Fachdisziplinen wirklich effizient kooperieren.
Als studierter Forstwissenschaftler habe ich ein besonderes Verhältnis zum Wald. Förster denken naturgemäß immer interdisziplinär, sowie in Raum und Zeit. Die Entscheidung, welchen standortgerechten und möglichst klimaresilienten Baum man pflanzt, ist eine Entscheidung für Generationen bis ins nächste Jahrhundert. Ich sehe, dass die Anwendungsfälle eines Digitalen Zwillings für die naturnahe Forstwirtschaft der Zukunft gerade erst erkennbar werden und noch lange nicht zu Ende erzählt worden sind.