GIS-Kompetenzen in Städten und Gemeinden spielen beim Gigabitausbau eine entscheidende Rolle, sagt Stefan Wiest, Breitbandkoordinator im Landratsamt Rottweil, im Interview. Für ihn stellen Geoinformationen ein Schatzkästchen mit Tools dar, die beim Wandel in eine Gigabit-Gesellschaft Zeit und Geld sparen und zudem Verhandlungen mit Telekommunikationsanbietern erleichtern.
Gigabit-Infrastrukturen sind für Städte und Gemeinden im ländlichen Raum einer der wichtigsten Standortfaktoren. Doch der Weg in die Gigabit-Gesellschaft ist nicht nur oft holprig, sondern verläuft auch größtenteils unter der Erde – in Rohren. Stefan Wiest, Breitbandkoordinator im Landratsamt Rottweil, schafft mit GIS die Voraussetzungen für einen flotten, kostengünstigen Ausbau und schnelle Nutzungsmöglichkeiten.
Herr Wiest, wie unterstützt der Landkreis Rottweil als öffentlicher Sektor den Gigabit-Ausbau vor Ort?
Der Landkreis Rottweil hat sich in enger Abstimmung mit seinen Städten und Gemeinden für den Gigabitausbau im Wirtschaftlichkeitslückenmodell entschieden. Das heißt: Wir bauen die Netzinfrastrukturen nicht selbst, sondern definieren die Ziele und suchen uns über diskriminierungsfreie Ausschreibungsverfahren Telekommunikationsunternehmen als starke Partner für den Gigabitausbau.
Wie sind Sie vorgegangen?
Unsere Ziele haben wir in einem Gigabit-Konzept mit vier wesentlichen Bausteinen beschrieben. Diese Strategie ist unser Fahrplan. Grundlage für den ersten Ausbauschritt war ein Markterkundungsverfahren im Jahr 2015 über den gesamten Landkreis. Damit wurde die Ausgangssituation in allen Städten und Gemeinden im Landkreis Rottweil analysiert. Weil das Landratsamt schon lange über eine kleine, aber sehr gute GIS-Abteilung verfügt, konnten wir die Daten selbst erheben, analysieren und erste Szenarien durchspielen. Mit jedem erreichten Meilenstein auf unserem Weg des Gigabit-Konzepts bekamen wir neue Informationen und Daten, die von der GIS-Abteilung ausgewertet und aufbereitet wurden. So begannen die einzelnen Puzzleteile an Strukturinformationen ein Bild zu ergeben.
“In unserem kleinen Team der Breitbandkoordination im Landkreis Rottweil bringt die GIS-gesteuerte Datenverarbeitung nur Vorteile.“
Stefan Wiest | Breitbandkoordinator im Landratsamt Rottweil
Was war ein wichtiges Etappenziel?
Ein wichtiger Meilenstein war die Erarbeitung des Masterplans. Für alle Städte und Gemeinden wurde in Kooperation mit der Rudersdorf Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft GmbH auf der Basis des geförderten FTTC-Ausbaus ein Master-Netz-Plan erstellt. Die Kommunen haben in den letzten Jahren die qualifizierten Tiefbaumaßnahmen genutzt, um Leerrohrstrukturen mitzuverlegen. Mit dem Masterplan haben die Rathäuser nun ein Werkzeug an der Hand, das bei der koordinierten Mitverlegung unterstützt. Dieser Masterplan basiert auf einer GIS-gestützten Datenbank mit allen nutzbaren Infrastrukturen sowie den geplanten kommunalen Tiefbaumaßnahmen. Der ständige Abgleich aller relevanter Informationen von Kommunen, Energieversorgern und Telekommunikationsunternehmen optimiert die zielgerichtete Mitverlegung von Leerrohrstrukturen für eine spätere Aktivierung durch ein Telekommunikationsunternehmen. Dadurch verdichtet sich das Netz nutzbarer Strukturen. Durch das zielgerichtete Wachsen der Lehrrohrstrukturen werden diese Netze für das eigenwirtschaftliche Engagement der TKUs immer interessanter.
Wie werden die dafür nötigen Informationen gesammelt?
Mit Hilfe von ArcGIS Online erstellten wir eine Abfrage-App, über die Kommunen alle nutzbaren Infrastrukturen sehr einfach mitteilen konnten. Dabei wurden nicht nur die vorhandenen Leerrohre abgefragt, sondern auch alle geplanten Bau- und Sanierungsmaßnahmen der nächsten fünf Jahre. Außerdem glichen wir unsere Siedlungsstrukturen mit den Flächen- und Bebauungsplänen ab. Damit wurden bei der Netzplanung auch der zukünftige Bedarf und Reserven berücksichtigt.
Wie wertvoll ist der Pool an Informationen?
Heute, 6 Jahre nach den ersten Erhebungen und Auswertungen, hat die GIS-Abteilung ein wahres Schatzkästchen an nutzbaren Informationen für den Gigabitausbau, die erheblich über die im Infrastrukturatlas hinterlegten Informationen hinausgehen. Diese nutzten wir bei individuellen Fragestellungen zu einzelnen Mitverlegungsmöglichkeiten in Straßenabschnitten genauso wie bei strategischen Fragen zur Erreichung unsere Ziele auf dem Weg zur Gigabit-Gesellschaft im Landkreis Rottweil.
Auf der Grundlage der stets aktuellen Informations- und Datenlage können Vorstellungen sehr genau definiert und visualisiert werden. Diese GIS-gesteuerte Aufbereitung und Darstellung wird dann gezielt in den Verhandlungsgesprächen mit den interessierten Telekommunikationsunternehmen eingesetzt. Das ist für beide Seiten ein großer Vorteil. Wir wissen ganz genau, wo was zur Nutzung liegt und wie dies strategisch in den Gesamtausbau mit eingebunden werden kann.
Auch in der detaillierten Netzplanung bei konkreten Ausbauprojekten können wir unsere Kenntnisse frühzeitig einbringen und so Problemen aus dem Weg gehen bevor sie entstehen.
Welche Bausteine sieht das Gigabit-Konzept im Einzelnen vor und wie ist der aktuelle Stand?
- Der erste Baustein, der FTTC-Ausbau, ist bereits umgesetzt. Von 2016 bis 2018 wurden alle Städte und Gemeinden an das Glasfasernetz angeschlossen. Je nach Entfernung zum Technikstandort sind Bandbreiten zwischen 30 und 250 Mbit/s möglich.
- Auch die zweite Komponente, der FTTH-Ausbau der Schulen, ist umgesetzt. Von 2018 bis 2020 wurden im gesamten Kreisgebiet 69 Schulen direkt an das Glasfasernetz angeschlossen. Dass waren alle Schulen im Landkreis Rottweil die den direkten Glasfaseranschluss wollten.
- Beim dritten Bausteinwerden von 2022 bis 2024 alle unterversorgten Gewerbebetriebe in den förderfähigen Gebieten sowie die weißen Flecken (Anschlüsse < 30 Mbit/s) an das Glasfasernetz angeschlossen.
- In Planung befindet sich der FTTH-Ausbau der sogenannten grauen Flecken. Bereits 2022 wurde mit den Planungen für den Ausbau der noch unterversorten Haushalte (Anschlüsse ohne HFC oder Glasfaseranschluss) begonnen. Nach der abgeschlossenen Umsetzung des 3. Kreisprojektes werden wir noch etwa 14.000 nicht gigabitfähige Adressen im Landkreis Rottweil haben. Das entspricht noch knapp 1/3 aller Adressen. Unser Ziel ist es, bis 2030 alle Haushalte im Landkreis Rottweil an das Gigabitnetz anzuschließen.
Bei welchen Aufgaben setzen Sie GIS als unterstützendes Werkzeug ein – und warum?
Für die Grundlagenarbeit, sprich Sammlung, Aufbereitung und Analyse aller Informationen und Daten, nutzen wir ArcGIS Desktop. Hier wurden alle Informationen bereits zu einzelnen Themenkomplexen zusammengestellt. In der ArcGIS Desktop-Anwendung spielen wir neue Szenarien durch, erarbeiten Ausbaustrategien und feilen an Plänen zur Erreichung der Zwischenziele auf dem Weg zur Gigabit-Gesellschaft. Je nach Bedarf stellen wir übersichtliche Karten aus unserer „Datenbank“ so zusammen, wie sie für die jeweilige Anforderung benötigt werden: sei es für die Antragstellung bei geförderten Maßnahmen oder für die Erstellung von Verwendungsnachweisen. Auch die Dokumentation und Qualitätssicherung läuft über ArcGIS Desktop.
Für die interne wie externe Kommunikation mit Entscheidungsträgern, Bürgermeistern und Kreisräten oder Informationen für die Bürgerschaft, aber auch für Gespräche und Verhandlungen mit Telekommunikationsunternehmen nutzen wir ArcGIS Online. Hier werden vielschichtige Informationen visuell aufbereitet und über intuitiv steuerbare Online-Karten transportiert.
Hat GIS weitere Aufgaben?
Eine sehr wichtige Anwendung in ArcGIS Online ist die Möglichkeit der einfachen Datenübermittlung durch Dritte über eine Eingabe-App. So stellen Kommunen über Linien und Polygone mit entsprechenden Attributen Informationen zur Verfügung: nicht nur zu bestehenden Infrastrukturen, sondern auch zu bevorstehenden und geplanten Baumaßnahmen.
Gibt es ein Highlight?
Den größten Vorteil aus der Datenerhebung zu nutzbaren Strukturen sowie Bau- und Sanierungsmaßnahmen zogen wir bei der Berechnung unserer Masterplannetze für den gesamten Landkreis. Über Fast@Home konnten wir ein GIS-basiertes Glasfasernetz vollautomatisch unter Berücksichtigung der geltenden Logarithmen berechnen. Mit mehreren verschiedenen Szenarien können wir auf die jeweiligen individuellen Anforderungen der Kommunen eingehen.
Und wie geht es weiter?
Mit jedem weiteren Datensatz, der aus den Baumaßnahmen gewonnen wird, können über die Online-Karten auch andere Fachämter im Landratsamt eingebunden werden. Dieses vernetzte Arbeiten wird zu einer deutlichen Einsparung an Kapazitäten beitragen. Im Moment befinden wir uns in einer intensiven Phase der Zustimmung nach §127 TKG. In einem kreisweiten Breitbandprojekt mit rund 200 km neuen Trassen wird dabei das Zustimmungsverfahren koordiniert. Neben den Antragsunterlagen erhalten alle beteiligten Fachämter die differenzierten Planungsunterlagen über interaktive Onlinekarten. Zusätzlich zu den eigentlichen Netzplänen sind diverse Schutzgebiete und Kulissen auf der Karte integriert. So lässt sich beim ersten Blick auf die Karte die jeweilige Relevanz für einzelne Bereiche feststellen. Daneben können die Mitarbeiter im Außendienst, zum Beispiel Kollegen der Straßenmeisterei oder Revierförster, die Karten auf ihre mobilen Endgeräte laden. Über Tablet oder Smartphone lässt sich dann der geplante Trassenverlauf mit der tatsächlichen Situation vor Ort abgleichen.
Warum engagiert sich der Landkreis und erledigt die Aufgaben selbst?
Gerade für den ländlichen Raum ist die Gigabit-Infrastruktur zu einem wichtigen Standortfaktor geworden. Für Telekommunikationsunternehmen allein ist der Ausbau der bestehenden Netze in Richtung zukunftsfähige Technologie eine Mammutaufgabe. Hier muss der öffentliche Sektor auch im Hinblick auf die Daseinsvorsorge und Wirtschaftsförderung unterstützen. Zum einen geschieht dies durch Fördermittel von Bund und Land, aber eben auch mit 10 Prozent vom Landkreis und seinen Städten und Gemeinden. Der Landkreis Rottweil als sehr ländlich geprägter Landkreis hat aber eben wegen der außerordentlichen Bedeutung dieser Infrastruktur der Zukunft ein besonderes Interesse zu wissen, was, wann, wie und wo gebaut wird. Durch klare Zieldefinitionen in Förderverfahren können wir Einfluss auf die Ausbaumaßnahmen nehmen.
Wie nützlich sind dabei GIS-Kompetenzen?
Wir können bei Verhandlungen zu eigenwirtschaftlichen Ausbaumaßnahmen unsere GIS-Kompetenzen einbringen. Unser Wissen über alle geplanten und zukünftigen kommunalen Baumaßnahmen, motiviert einzelne Unternehmen, kostengünstige Mitverlegungen mit einzuplanen oder ergänzende Ausbaumaßnahmen anzugehen. Vermutlich würde ohne diese smarte Art der Planung das ein oder andere eigenwirtschaftliche Teilprojekt aufgrund zu hoher Kosten nicht realisiert werden. Zudem können bereits in der frühen Planungsphase wichtige Aspekte und Problemstellungen mit eingebracht werden. Genehmigungsprozesse lassen sich so deutlich beschleunigen.
Dieser Austausch auf Augenhöhe mit einem Mehrwert für beide Seiten ist ein absoluter Vorteil für die Erhebung, Verarbeitung und Analyse der Daten bei uns im Haus.
Würden Sie dieses Vorgehen anderen Landkreisen empfehlen?
Das muss jeder Landkreis für sich entscheiden. In unserem kleinen Team der Breitbandkoordination im Landkreis Rottweil bringt die GIS-gesteuerte Datenverarbeitung nur Vorteile. Neben der deutlich zielgerichteteren Ausarbeitung von Strategien und Zieldefinitionen erleichtern GIS-Applikationen die Datenerhebung aber auch die interne wie externe Kommunikation. Vor allem haben wir aber alle Informationen bei uns im Haus. Das ermöglicht die schnelle Reaktion auf neue oder veränderte Rahmenbedingungen. Auf dem Weg der Digitalisierung von Genehmigungs- und Arbeitsprozessen sind GIS-basierende Informationen und Daten nicht mehr weg zu denken. Weitergedacht werden GIS-Kompetenzen in Bezug auf Smart Cities und Smart Areas in der Verwaltung der Zukunft von noch größerer Bedeutung werden. Die Fähigkeiten, die heute in den Verwaltungen aufgebaut werden, sind in allen Bereichen der Entwicklung von morgen sowohl technologisch als auch nachhaltig absolut bedeutend.