Hoch- und Tiefbau wachsen zusammen. Aber nicht nur das. Der Digital Twin schafft für den Flughafen Zürich eine ganzheitliche Sicht auf bisher voneinander getrennte Abläufe und Bereiche. Das ist möglich, weil er Informationen aggregiert und zu einem übergeordneten Modell zusammenfasst. So können Teams einzelne Silos überwinden und vernetzt agieren. Die erste Entwicklung eines Digital Twins hat nicht nur positive Auswirkungen auf einzelne Fachbereiche, sondern auf die gesamte Organisation.
Im Interview teilen vier Verantwortlichen aus unterschiedlichen Departments ihre Einsichten darüber mit, wie sich die Einführung des Digital Twins auf das Daily Business des Flughafens auswirkt.
Herr Maag, der Digital Twin trägt dazu bei, Silos bei Großbauprojekten zu vermeiden. Für den Flughafen Zürich gab es dafür ein Proof of Concept. Wie ist es dazu gekommen?
Seit der Eröffnung des Flughafens vor 75 Jahren sind die Bereiche Hoch- und Tiefbau zwei getrennte Bereiche. Vor der Privatisierung sogar zwei verschiedene Unternehmen. Für den Infrastruktur Bereich war der Kanton Zürich Bauherr und die meisten Immobilien wurden durch die Flughafen Immobilien Gesellschaft (FIG) gebaut und unterhalten. Darum wundert das nicht, dass die Art und Weise der Bauplanung, Ausführungsvorgaben bis zu dem Archiv sehr unterschiedlich entstanden und verwaltet wurden.
Peter Maag
Leiter Geomatik & Werkleitungskoordination, Projektleiter PoC Digital Twin
Seit langer Zeit war es ein Wunsch von mir die verschiedenen Bereiche nach der Privatisierung auch auf Datenebene zusammen zu bringen und besser nutzbar zu machen. Mit der Einführung der BIM-Methode haben wir uns auf gemeinsame Ansätze verständigen können und hoffen so auf eine verbesserte Zusammenarbeit bei Großprojekten.
In den Prozessen von Bau, Betrieb und Wartung der Anlagen kommen auch heute noch aus berechtigten Gründen unterschiedliche Systeme zum Einsatz. Eigentlich besitzt der Flughafen seit längerem einen Digitalen Zwilling, aber er ist so verteilt, dass niemand diesen so wahrnimmt und auch nicht zusammenhängend oder bereichsübergreifend nutzen kann.
Wie haben Sie diese Herausforderung gelöst?
In einer Produktvorstellung von Esri habe ich von ArcGIS Geo BIM gehört und dachte, dass dies ein Ansatz sein könnte, um den Bau und den Betrieb näher zu bringen. Bei den folgenden internen Diskussionen waren wir der einstimmigen Meinung, dass wir das unbedingt genauer anschauen sollten. Um unsere Fragen zu beantworten, starteten wir ein kleines Projekt zusammen mit Esri Schweiz und CADMEC. In einem Proof of Concept definierten wir Wünsche und Ziele und hielten die Ergebnisse darin fest. Unser Lösungsansatz: Über ein „holistisches Modell“ verknüpfen wir die wichtigsten Daten aus Bau und Betrieb des Flughafens und können so ein erstes Mal den digitalen Zwilling sichtbar machen. Dies alles mit bestehenden Technologien und ohne Systemablösungen.
Damit können wir einen zentralen Einstiegspunkt in den digitalen Zwilling anbieten und für viele Bereiche Darstellungen ihrer Daten anbieten die bisher gar nicht möglich waren. Viele sehen ihre Informationen gar ein erstes Mal in einem räumlichen und zeitlichen Kontext.
Herr Bitter, Im Proof of Concept wurde das Zusammenspiel zwischen GIS und BIM verbessert, indem Daten aus dem Hoch- und Tiefbau in den Digital Twin überführt wurden. Welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Erfahrung gewonnen, insbesondere unter Verwendung von ArcGIS?
Bisher war es oft doch recht mühsam, die Projektpläne in eine Gesamtübersicht zu integrieren. Fehlende Georeferenzierung und Sachdaten, unsaubere Strukturen und Geometrien in CAD-Plänen von Projekten waren leider eher die Regel als die Ausnahme.
Peter Bitter
Leiter GIS, Masterplanung
Es ist zu erwarten, dass die Qualität der BIM-Daten dank strikteren Datenmodellen und vorgelagerten Prüfprozessen nun besser wird. Wenn die doch recht steile Lernkurve einmal überwunden ist, erhoffen wir uns signifikante Verbesserungen bei der Datenübernahme aus Projekten. Wichtig ist aber auch der umgekehrte Weg: Wir müssen für die Projekte aus dem GIS BIM-taugliche Bestandesdaten exportieren können. Hier hat der PoC ebenfalls Anstoß zu gewissen Entwicklungen gegeben.
Insgesamt hat der PoC das Verständnis dafür geschärft, was die zukünftige Rolle von GIS im Kontext von BIM sein soll. Es war ja immer klar, dass wir mit dem GIS nicht “BIM machen”, dafür gibt es spezialisierte Tools.
Dafür setzt der Flughafen auf ArcGIS
Der Mehrwert von ArcGIS besteht vor allem darin, mehrere Projekte gleichzeitig mit dem Bestand in 2D und 3D anschaulich darstellen zu können, so dass die zeitlichen Abläufe und die komplexen Schnittstellen mit dem laufenden Flughafenbetrieb verständlich werden.
Wenn man die Werkzeuge einmal beherrscht, können mit relativ wenig Aufwand intuitiv zu bedienende Szenen und Anwendungen geschaffen werden, um beispielsweise die Planungen mit Entscheidungsträgern und Betriebsleuten zu validieren.
Herr Buffoni, welche Vorzüge sehen Sie im Facility Management beim Digital Twin in Verbindung mit ArcGIS für Ihren täglichen Geschäftsbetrieb?
Für das Auftragsmanagement der technischen Anlagen (Wartung, Inspektion und Reparatur) nutzen wir das SAP PM. Damit verbunden sind heute das FM-Tool Byron, wo Pläne hinterlegt sind, welche für die Verortung genutzt werden können. Weitere Funktionalitäten betreffend einem Modell stehen heute nicht zur Verfügung.
Ralph Buffoni
Programmleiter integriertes Immobilienmanagement, Real Estate
In Zukunft soll es möglich sein, verschiedene Informationen aus verschiedenen Informationsquellen über ein holistisches Modell zu verknüpfen und zusammenzuführen. Diese verknüpften Daten sollen ein besseres Gesamtbild über Gebäude und Anlagen liefern.
Was für konkrete Anwendungsfälle ergeben sich daraus speziell für den Flughafen Zürich?
Ein Bereich ist die Visualisierung von Gebäuden und Anlagen. Ein Digital Twin ermöglicht eine realistische 3D-Darstellung von Gebäuden und Anlagen, einschließlich der Inneneinrichtung. In Kombination mit ArcGIS können diese Modelle in eine Karte integriert werden, um eine umfassende Visualisierung des gesamten Flughafens zu erhalten.
Aber auch die Optimierung von Wartung und Reparaturen ist möglich. Dank der Verwendung eines Digital Twins können Wartungs- und Reparaturarbeiten effektiver geplant werden, da sich der Zustand von Anlagen und Gebäuden in Echtzeit überwachen lässt. Die Integration von ArcGIS ermöglicht es, Daten zu Standort und Zustand von Anlagen und Gebäuden mit anderen datenbasierten Informationen wie z.B. dem Wetter zu verknüpfen, um präventive Wartungsmaßnahmen durchzuführen.
Last but not least lassen sich auch die Energiekosten reduzieren: Ein Digital Twin kann dazu beitragen, den Verbrauch von Gebäuden und Anlagen zu optimieren, indem er Echtzeitdaten über den Energiekonsum visualisieren kann. In Verbindung mit ArcGIS können Informationen zur Sonneneinstrahlung und zur Umgebungstemperatur genutzt werden, um die Energieeffizienz weiter zu verbessern.
Frau Schürger, ein neuer Terminal wird geplant. Welche Mehrwerte bringt die Kombination von BIM 3D-Objektmodellen im Kontext des Flughafen-Twins?
Der Flughafen-Twin besteht heute bereits in Form von alphanumerischen und grafischen Daten, die in unterschiedlichsten Zielsystemen gepflegt werden und somit den verschiedensten Anwendungsfällen dienen. Allerdings bieten diese Daten keinen Rundumblick, sondern sind stark nach Nutzer fragmentiert und verstellen daher den Blick auf die prozessuale Handhabung der Daten in ihrem gesamten Lebenszyklus. Im Gegensatz zu den vielzähligen Umsystemen, weist die grafische Aufbereitung z.B. durch Planprodukte heute eine geringere Informationsdichte auf, wohingegen sie als Orientierungshilfe und als Verortungswerkzeug höchsten Nutzen bietet.
Maike Schürger
Leiterin BIM / Gebäudemodell, Architektur & Projekte
Beim Aufbau des verbesserten, digitalen Datenstrukturmodells spielt die grafische Unterstützung zukünftig eine größere Rolle. Durch frühzeitige Datenvisualisierungen wird das Gebäudeverständnis unter allen Beteiligten – Projektteilnehmern und Personen aus der Betreiberorganisation – geschärft.
Herausforderungen bezüglich Schnittstellen werden früher sichtbar, Entscheide und Steuerungsmöglichkeiten werden in frühere Projektphasen verlegt und durch Einbezug der Betreiberorganisation und den Blick auf den gesamten Gebäudelebenszyklus verbessert. Dies gilt insbesondere für die Komplexität des Standorts Flughafen Zürich mit parallellaufenden Projekten im Hoch- und Tiefbau, unter Beachtung der Bestandes- und Betriebssituationen.
Wohin geht die Reise?
Im Laufe der Klärung und Implementierung der datentechnischen Herausforderungen tauchen neue Anwendungsfälle auf, die wir bis dato nicht auf dem Radar hatten. Wir entdecken Möglichkeiten, die nicht nur die Optimierung bekannter Geschäftstätigkeiten bedienen, sondern erschließen uns damit – unter Berücksichtigung des Mehrwerts – neue Handlungsfelder. Das zeigt wunderbar, dass es sich lohnt zu investieren und nicht einzig vorhandene Prozesse methodisch besser unterstützen zu lassen, sondern dass es uns erlaubt Handlungsfelder zu entdecken, die uns als Organisation in die Zukunft tragen.