Der Erhalt biologischer Vielfalt ist überlebenswichtig – aber längst nicht mehr gesichert. Das wird auch zum wirtschaftlichen Risikofaktor für Unternehmen und Finanzinstitutionen weltweit. Doch das Erkennen von Biodiversitätsrisiken in den einzelnen Betrieben, in Wertschöpfungsketten und bei Investitionen war bisher eine große Herausforderung für Organisationen. Der neue Biodiversitätsrisikofilter (BRF) macht die Sache einfacher.
Der BRF, den die Natur- und Umweltschutzorganisation WWF auf Basis des Geoinformationssystems ArcGIS entwickelt und im Januar 2023 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos präsentiert hat, liefert einen wissenschaftlich fundierten Ansatz, um die mit der Biodiversität verbundenen Risiken und Chancen entlang der Wertschöpfungskette und an verschiedenen Standorten schnell zu durchleuchten. Um im ersten Schritt ein Unternehmen auf Biodiversitätsrisiken zu prüfen, braucht der BRF lediglich Angaben zur Branche, den Standorten der Betriebstätten oder Lieferanten eines Unternehmens sowie deren Bedeutung für die Organisation.
Das kostenlose und webbasierte Tool bereitet Unternehmen damit auch auf neue Regelungen vor: Denn nach dem im Dezember 2022 verabschiedeten Weltnaturabkommen müssen Unternehmen künftig alle Risiken in Bezug auf Biodiversität überwachen, bewerten und offenlegen.
Daten über Daten zur Biodiversität
Der BRF basiert auf über 50 Datensätzen mit Informationen über den Status der lokalen Artenvielfalt, einschließlich Ökosystemdienstleistungen und Schutzgebieten sowie den größten Risiken für die biologische Vielfalt. Mit dem Tool lassen sich Themen und Standorte aus der Perspektive von Natur und Wirtschaft priorisieren und Risiken für alle Branchen und Länder bewerten. Die komplexen Biodiversitätsinformationen werden aufgeschlüsselt, visuell aufbereitet und liefern Unternehmen so entscheidungsrelevante Informationen.
Beim BRF handelt es sich um die erste Plattform, die ein derart breites Spektrum an Daten für eine Risikoanalyse zur biologischen Vielfalt zusammenführt. Grundlage bilden über 50 für die Biodiversität relevante Datenebenen, die in Kombination ein globales, ganzheitliches Bild der mit der biologischen Vielfalt verbundenen Risiken ergeben. Dazu gehören Informationen über Arten und Ökosysteme, Schutzgebiete und die wichtigsten Belastungen für die biologische Vielfalt: dazu zählen Landnutzungsänderung, Vorkommen invasiver Arten und Umweltverschmutzung.
Der BRF basiert zumeist auf frei verfügbaren Datensätzen unter anderem von UN-Institutionen und der NASA, die durch Daten von der IBAT Alliance, RepRisk und UNEP-WCMC ergänzt werden konnten.
Globaler BIP hängt von intakter Natur ab
„Schon aus purem Eigennutz müssen Unternehmen handeln und bestehende Biodiversitätsrisiken auf dem Schirm haben“, sagt Silke Düwel-Rieth, Leiterin Wirtschaft und Märkte beim WWF Deutschland. Denn 50 Prozent der Weltwirtschaftsleistung beruhen direkt auf intakter Natur. So brauchen Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie dringend Insekten für die Bestäubung. Tourismus und Fischerei sind vielerorts abhängig von intakten Mangrovenwäldern und Korallenriffen. „Unternehmen können durch die Entscheidung, wie sie an bestimmten Standorten produzieren das Artensterben beschleunigen oder ausbremsen. Damit bestimmen sie letztlich selbst, wie hoch das eigene Risiko für biodiversitätsbezogene Wertverluste in naher Zukunft ausfällt“, so Düwel-Rieth.
Rebekah Church, Global Biodiversity Stewardship Lead des WWF, ergänzt: „Unternehmen und Finanzinstitute erkennen zunehmend, dass es sich lohnt, den Biodiversitätsverlust zu bekämpfen, aber viele wissen einfach nicht, wo sie anfangen sollen. Unser Tool hilft ihnen, die mit der biologischen Vielfalt zusammenhängenden Risiken zu erkennen und zu bewerten. Und es ermöglicht zudem, Investitionen zu priorisieren, welche die größte Wirkung bei der Abschwächung dieser Risiken haben.“
Leitfaden zur einfachen Nutzung
In der gemeinsam mit dem Biodiversitätsrisikofilter veröffentlichten Fallstudie “Tackling Biodiversity Risk“ hat der WWF bereits stichprobenartig über 600 Unternehmen aus dem MSCI-Index auf ihre Biodiversitätsrisiken überprüft. Landwirtschaft und Fischerei sind demnach besonders durch die Artenkrise gefährdet und gelten gleichzeitig als ein großes Risiko für die Artenvielfalt.
Die Fallstudie verdeutlicht auch, dass Unternehmen und Finanzinstitute mit Hilfe des BRF-Tools und des enthaltenen methodischen Leitfadens damit beginnen können, potenzielle Risikopunkte im Zusammenhang mit der biologischen Vielfalt zu analysieren und zu identifizieren sowie Handlungsprioritäten festzulegen.
Die Filter-Familie der WWF
Auf der Online-Plattform des WWF findet sich auch der Wasser-Risikofilter (WRF). Er deckt ebenfalls alle Wirtschaftszweige ab und verwendet globale Datensätze für eine vollständige geografische Abdeckung. Der Wasserrisikofilter wurde bereits 2012 eingeführt und wird inzwischen von vielen Unternehmen genutzt. Edeka und Tchibo beispielsweise analysieren damit Wasserrisiken entlang ihrer Lieferketten und erhöhen so die Widerstandsfähigkeit.