Dank eines neuen Ansatzes macht die Rehkitzrettung einen Sprung nach vorne. Wie das innovative Projekt genau aussieht, verrät Heinz-Dieter Meier von amotys consult im Interview.
Immer im Frühsommer ist es so weit: Die Reh-Geißen bringen ihre Rehkitze zur Welt. Den besten Schutz bieten hohe Wiesen – wären da nicht die Landwirte. Sie mähen genau um diese Zeit zum ersten Mal ihre Wiesen. Doch anstatt vor den lauten Geräten zu fliehen, verharren die kleinen Kitze instinktiv tief geduckt und reglos auf dem Boden, die natürliche Schutzstrategie gegen Feinde. Was dann passiert, ist nicht nur aus Sicht jedes Tierfreundes fatal, sondern auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Denn: „Vermähte“ Rehkitze machen den Grünschnitt der betroffenen Fläche unbrauchbar – im schlimmsten Fall droht auch den Rindern der Tod, wenn Sie die blutige Grünlandmahd unentdeckt fressen.
Um das alles zu verhindern, ist die Rehkitzrettung unerlässlich. Hierzu gibt es zahlreiche Überlegungen. Mit einem innovativen Ansatz hat sich nun Heinz-Dieter Meier von amotys consult einen Namen gemacht. Der engagierte IT-Berater setzt bei seinem ehrenamtlichen Projekt auf Drohnen. Warum das der effektivste Weg ist, verrät er im Interview.
Herr Meier, mit Drohnen Rehkitze retten – wie kam die Idee zustande?
Bei einem gemütlichen Abend mit Leiter des Jagdrevieres Naturns, Florian Haller, in Südtirol. Ich hatte eine Drohne dabei, mit der ich Bilder des Berghofes gemacht habe, wo ich mit meiner Frau Andrea im Urlaub war. Plötzlich kam die Idee auf, ob man die Technologie nicht auch für die Rettung von Rehkitzen einsetzen könnte. Die Komplexität des Themas Kitzrettung war mir bereits bekannt, da ich während meiner beruflichen Laufbahn mal am Rande damit zu tun hatte.
Schnell war allerdings klar, dass die Drohne, die ich dabeihatte, dafür nicht geeignet war – insbesondere die Kamera. Eine neue Drohne mit spezieller Wärmebildkamera musste her.
Und dann ging es los?
Das wäre wohl zu einfach gewesen. Bei den Vorbereitungen stellte sich heraus, dass die Flüge in Südtirol einen italienischen Drohnenführerschein erforderten. Diesen musste ich erst machen. Das ging jedoch nur vor Ort – und auf italienisch. Also nutzte ich meine alten Lateinkenntnisse und reicherte diese mit einem dem notwendigen, italienischen Drohnen-Vokabular an – und durchlief ein Training und eine theoretische und praktische Prüfung in Triest. Mit Erfolg!
Nach dem ich die Prüfung geschafft habe, konnte es dann endlich losgehen. Ab Mai 2019 befanden sich meine Frau Andrea und ich auf dem Pirchhof in Südtirol und bereiteten die Einsätze mit dem Jagdaufseher des Jagdreviers Naturns, Daniel Kofler, und den beteiligten Bauern vor.
Wegen des kalten Wetters startete die Mähsaison fast zwei Wochen später. Diese Zeit war für uns wertvoll. Wir nutzten sie für die Vorbereitung und Einsatzübungen zur Einweisung in die Sicherheitsbestimmungen und zum Training der Zusammenarbeit zwischen Flugteam und Jägern.
Dann ging es zum ersten Mal los. Überraschenderweise fanden wir bei der „Generalprobe“ in einer Obstplantage im Beisein des Jagdrevierleiters von Naturns, Florian Haller, schon das erste Kitz, das so vor Schaden durch die durchfahrenden Traktoren bewahrt werden konnte. Das motivierte uns natürlich.
Können Sie genauer beschreiben, wie so eine Rehkitzsuche mit Drohne genau abläuft?
Bevor die Bauern mähen, überfliegen wir in den Morgenstunden mit einer Wärmebildkamera die Wiesen. Unser Kitz-Rettungstrupp setzt sich aus dem Flugteam mit Pilot und Bildauswerterin und den jagdlichen Helfern, die aufgespürte Kitze aus dem Gras holen und vorübergehend sichern, zusammen.
Zu unserer Ausrüstung zählen neben der Drohne ein Monitor, auf dem wir die Wärmebilder genauer analysieren können und Funkgeräte, mit denen wir die Helfer*innen ans Ziel lotsen. Was so einfach klingt, ist jedoch in der Praxis gar nicht so simpel. In den Bergen Südtirols ist es besonders herausfordernd, nicht zu hoch über dem Boden zu fliegen, ohne mit Drähten einer Materialseilbahn oder einzelnen Bäumen zu kollidieren. Das ist wichtig, damit die Wärmesignaturen der Rehkitze erkennbar bleiben. Auch den Helfern verlangt das Durchstreifen des meterhohen Grases im bergigen Gelände eine gute Kondition ab. Doch ist ein Rehkitz gefunden, ist das ein bewegender Moment – und alle Mühen sind vergessen.
Sie retten nicht nur die Kitze, sondern wollen auch mit Ihren Erkenntnissen künftige Suchen effizienter gestalten. Wie genau gehen Sie vor?
Wir sammeln Daten rund um die Rettung. Das ist beispielsweise die Größe des Tieres, der Standort oder die Beschaffenheit der Wiese. Diese Daten werten wir mit dem Geoinformationssystem ArcGIS aus. So können wir bei den nächsten Einsätzen gezielter vorgehen – und Fragen wie beispielsweise „Wie viele Kitze lagen auf einer bestimmten Fläche?“ oder “Wie war die Bodenbeschaffenheit der Liegeplätze?” beantworten.
Eine besondere Erleichterung ist der ArcGIS Collector. Sie können sich vorstellen: Eine nachträgliche Eingabe der Fundortdaten ist schwierig. Dank dieser Lösung können wir via Smartphone direkt am Standort alle notwendigen Daten erfassen.
Wie geht es weiter?
Die Kitzrettung in Südtirol 2019 war erst der Anfang. Zusammen mit dem Jagdverband Südtirol und der Bioland Südtirol haben wir während der Coronazeit 2020/2021 weitere Teams aus südtiroler Bauern und Jägern mit einem Webinar über Kitzverhalten und Drohnensuchstrategien unterstützt. Viele Jagdreviere haben jetzt für die nächste Saison ein eigenes Team. Im kommenden Jahr (2022) wollen wir wieder unser „Stamm“-Revier in Naturns/Südtirol unterstützen.
Damit unsere Erfahrungen auch andere Helferinnen und Helfern nutzen können, beteiligen wir uns zudem seit 2020 an dem Projekt der Bayerischen Staatsregierung mit der TU München zur Ermittlung der besten Wildtierrettungsstrategie gegen den Mähtod von Rehkitzen.