Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) arbeitet mit Hochdruck am ‚Digitalen Zwilling Deutschland‘. Er soll umfassende Antworten zu Klima, Sicherheit und weiteren wegweisenden Fragen liefern. Im Interview verrät Dr. Anja Hopfstock vom BKG, was sich die Behörde konkret davon verspricht und wie weit die Entwicklung ist.
Frau Hopfstock, wie ist der Digitale Zwilling des BKG aufgebaut?
Vorbild für unseren ‚Digitalen Zwilling Deutschland‘ sind Konzepte der Industrie 4.0, die die Technologie nutzt, um Prozesse, Maßnahmen und Entwicklungen zunächst virtuell durchzuspielen, bevor sie in der Realität umgesetzt werden.
Den Digitalen Zwilling kann man sich wie einen Würfel mit mehreren Schichten vorstellen. Die Basis ist ein intelligentes, bundesweit einheitliches räumliches 3D-Modell von Deutschland. Dieses Abbild enthält alle grundlegenden Landschaftsobjekte – vom Hochhaus über den Strommast bis zum Baumbewuchs.
Dr. Anja Hopfstock
Bundesamt für Kartographie und Geodäsie
In diese 3D-Modellwelt werden vorhandene Daten integriert, beispielsweise sogenannte „Points of Interest“. Dazu zählen unter anderem Schulen, Polizeiwachen, Postämter oder Kanaldeckel. Eine weitere Schicht bildet das Fachwissen, oder auch Informationen unterschiedlicher Fachdisziplinen: beispielsweise wie viel Leistung die Windkraftwerke vor Ort haben, wie das Wetter ist oder wie der Baumbestand an der Stelle aussieht.
Alle Informationen werden genutzt, um komplexe Fragestellungen umfassend anzugehen. Dazu wird der Digitale Zwilling Deutschlandverschiedene Analyse- und Simulationsmethoden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen unter einem Dach vereinen
Wie weit sind Sie bereits?
Vor Initiierung des Gesamtvorhabens zum ‚Digitalen Zwilling Deutschland‘ wurde in einem Demonstrationsvorhaben 2021/2022 geprüft, ob ein bundesweiter Digitaler Zwilling realisierbar ist. Hierzu wurde gemeinsam mit dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung der Freien und Hansestadt Hamburg sowie der Metropolregion Hamburg die Datenerfassung getestet. Ebenso haben wir Technologien und Methoden zur Implementierung erprobt. So konnten wichtige Erfahrungswerte für die Übertragung auf die Gesamtfläche Deutschlands gewonnen werden.
Können Sie erste konkrete Anwendungen beschreiben?
Die hochgenaue Datengrundlage lässt sich für viele Anwendungsfälle nutzen. So zeigt das Beispiel der Starkregenprävention, wie das Zusammenspiel aus 3D Modellwelt, weiteren Geodaten und Fachwissen aussieht.
In einem unserer Projekte haben wir die Bodendaten des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen und weitere Geodaten mit statistischen Wetterdaten zusammengeführt. Damit lassen sich Überflutungshöhen und Fließgeschwindigkeiten modellieren. Daraus entwickelten wir eine Starkregengefahrenhinweiskarte für Nordrhein-Westfalen. Sie legt offen, welchen Schaden ein solches Wetterereignis verursachen kann. Einen Vergleich mit den Ergebnissen des vergangenen Jahres verdeutlichte das Potenzial der Simulation. Mit dieser Karten lassen sich Strategien für den Notfall entwickeln, bevor es zu Überschwemmungen kommt.
Wie entsteht ein Digitaler Zwilling?
Im Rahmen des Demonstrationsprojektes wurde ein 8.600 km² großes Gebiet in der Metropolregion Hamburg beflogen. Dabei kam die LiDAR-Technologie zum Einsatz. Sie ermöglicht die dreidimensionale Erfassung von Objekten in ihrer Gesamtheit mit einer hohen Punktdichte von 42 Punkten pro m². Die Punktwolke liefert Informationen über Boden, Oberfläche, Vegetation, Gebäude, Infrastruktur und alle sichtbaren Objekte mit einer horizontalen Auflösung besser als 30 cm.
Was sind die nächsten Schritte und Ziele?
Das Demonstrationsprojekt wurde im Sommer 2022 erfolgreich abgeschlossen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen nun in den Aufbau des ‚Digitalen Zwillings Deutschland‘ ein.
Ab 2023 soll erstmals die gesamte Bundesrepublik Deutschland mit modernster Laserscantechnologie als hochpräzises 3D-Modell erfasst werden. Diese Aufnahmetechnik garantiert einen Detaillierungsgrad, der mit herkömmlichen Satellitendaten nicht erreicht werden kann. Das Modell soll nach drei Jahren aktualisiert werden, um auch Veränderungen in der Landschaft Deutschlands erkennen und darstellen zu können.
Parallel dazu wird die Infrastruktur zur Datenintegration, Prozessierung und Analyse aufgebaut. Darüber hinaus sollen Kommunikationswege und Akteursnetzwerke auf Bundes- und Länderebene etabliert werden.